Psychoanalytikerinnen. Biografisches Lexikon

Geschichte der Psychoanalyse in Frankreich

Biografien

Quatrième Groupe und ECF

1969 fand eine weitere Spaltung statt, als einige von Lacans SchülerInnen aus Protest gegen die Einführung der sog. "passe" - einem weitgehend enthierarchisierten, aber letztlich von Lacan abhängigen Zugangsmodus zum Titel des Lehranalytikers - die EFP verließen und die Organisation psychanalytique de langue française (OPLF), auch Quatrième Groupe genannt, bildeten. Zu ihnen gehörten François Perrier, Piera Aulagnier, Cornelius Castoriadis, Jean-Paul Valabrega und, ein Jahr später, Nathalie Zaltzman. Diese Gruppe von "Lacanianern ohne Lacan" sieht ihren Schwerpunkt im klinischen Bereich und gibt seit 1969 die Zeitschrift Topique heraus. 2005 gründeten einige Analytiker:innen der Quatrième Groupe die Société Psychanalytique de Recherche et de Formation (SPRF), die 2015 als Zweiggesellschaft der IPA anerkannt wurde.
Auch nach der Abspaltung der Quatrième Groupe blieb es in der EFP unruhig. Die Unzufriedenheit mit Lacans diktatorischen Prozeduren und seiner theoretischen Intoleranz wuchs in den antiautoritären 1970er Jahren, einige Mitglieder wollten ihn sogar durch die Vollversammlung absetzen lassen. Lacan kam ihnen zuvor, erklärte 1980 die EFP für aufgelöst und rief kurz darauf die Cause freudienne ins Leben, die ein Jahr später mit dem Austritt vieler Mitglieder wieder am Ende war bzw. durch die von Jacques-Alain Miller geführten École de la Cause freudienne (ECF) abgelöst wurde. Nach dem Tod Lacans im Jahr 1981 spaltete sich das Lager seiner AnhängerInnen in immer neue Gruppierungen auf, Ende der 1990er Jahre waren es bis zu 17 Zirkel und Vereinigungen.

Confrontation, CFRP und SPF

Die SPP erfuhr in den 1970er Jahren ebenfalls eine Öffnung. Aus ihrer Mitte ging die Gruppe Confrontation hervor, 1974 gegründet von René Major. Diese Gruppe wendet sich gegen jeden institutionellen Dogmatismus und ist auch offen für Nicht-Analytiker. Ihre Mitglieder vertreten eine an Jacques Derrida orientierte Psychoanalyse und publizieren seit 1979 ihre Beiträge in der Zeitschrift Cahiers Confrontation. Weder Lacanianern noch Anti-Lacanianern zuordnen lässt sich eine Gruppe von "Neutralen" in der SPP, zu denen z. B. André Green, Joyce McDougall, Nicolas Abraham, Maria Torok und Julia Kristeva zählen.
1994 gründeten Patrick Guyomard - der 1982 mit Octave und Maud Mannoni das Centre de formation et de la recherche psychanalytique (CFRP) ins Leben gerufen hatte -, Monique David-Ménard, Daniel Widlöcher und andere die Société de Psychanalyse Freudienne (SPF). Die SPF strebt eine Reintegration der Freudschen und der Lacanschen Lehre an und will die klinischen Ergebnisse der angelsächsischen Schulen stärker berücksichtigen. Strömungen wie die Ich- und Selbstpsychologie oder die Lehren von Anna Freud und Melanie Klein machten in Frankreich keine Schule, auch wenn kleinianische Ansichten in die Lacansche Lehre und die Objektbeziehungstheorie Bouvets einflossen.

Die Psychoanalyse erfreute sich ab den 1970er Jahren einer weiten Verbreitung in der französischen Öffentlichkeit. Analytiker:innen wie Lacan, Serge Leclaire und Françoise Dolto hatten ihre festen Sendeplätze im französischen Fernsehen und Radio, so dass psychoanalytische Ideen nicht nur die Intellektuellen, sondern auch das große Publikum der Franzosen erreichten.
Derzeit gibt es in Frankreich drei Zweiggesellschaften der IPA: die SPP, die APF und die SPRF. 1995 wurde neben dem Pariser Lehrinstitut der SPP ein zweites Institut de Psychanalyse in Lyon etabliert.

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