Jacqueline Amati Mehler wurde in Barcelona in eine österreichisch-jüdische Familie geboren. Ihre Eltern Marco Mehler und Regina Rosenbach stammten aus der Bukowina (Österreich-Ungarn) und waren Ende der 1920er Jahre mit ihren beiden älteren Kindern Sidonia und Roberto nach Spanien ausgewandert. Ihr Vater begründete in Barcelona ein international erfolgreiches Textilunternehmen. 1937 zog die Familie nach Paris und emigrierte ein Jahr später nach Argentinien. Jacqueline Mehler studierte in Buenos Aires Medizin und wurde 1959 zum Dr. med. promoviert. Anschließend ging sie mit ihrem Mann, dem Molekularbiologen Paolo Amati (1933-2020), nach Boston, wo sie sich an der Harvard Medical School als Psychiaterin und Psychotherapeutin für Kinder und Erwachsene spezialisierte. In Boston wurde 1961 ihre Tochter Alexandra geboren.
1964 übersiedelte Jacqueline Amati Mehler mit ihrer Familie nach Italien. Sie machte eine Analyse bei Eugenio Gaddini und absolvierte in Rom ihre psychoanalytische Ausbildung bei der Società Psicoanalitica Italiana (SPI). Sie war Mitglied der SPI, bis sie sich 1992 an der Gründung der Associazione Italiana di Psicoanalisi (AIPsi) beteiligte. Von 1994 bis 1999 war sie Präsidentin der AIPsi und von 2002 bis 2008 Direktorin des Lehrinstituts. Sie gründete 1997 auch die Zeitschrift der AIPsi Psicoanalisi. Außerdem amtierte sie von 1989 bis 1993 als Generalsekretärin und von 1997 bis 2001 als Vizepräsidentin der IPA. Zwischen 1997 und 2001 war sie Vorsitzende des Committee on Psychoanalytic Education.
Zu Jacqueline Amati Mehlers wichtigsten Arbeiten gehört das 1990 gemeinsam mit Simona Argentieri und Jorge Canestri veröffentlichte Buch La Babele dell'inconscio [Das Babel des Unbewussten], in dem es um Mehrsprachigkeit und die damit verbundenen Spaltungsprozesse geht. Weitere Themen Amati Mehlers sind männliche Impotenz, die sie als Symptom eines misslungenen Loslösungs- und Individuationsprozesses deutet, und das Verhältnis von Kunst und Psychoanalyse. 1998 erhielt sie den Sigourney Award für bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Psychoanalyse. (Artikelanfang)
Simona Argentieri wurde in eine jüdische Familie in Florenz geboren, als Tochter von Yvonne Ajello und Gianfranco Bondi. Die Familie überlebte Faschismus und Krieg in der großelterlichen Landvilla bei Lucca und zog 1947 nach Rom. Simonetta Bondi begann dort ein Medizinstudium, das sie 1967 abschloss. Damals hatte sie bereits das Ziel, Psychoanalytikerin zu werden. 1965 heiratete sie den Arzt Raffaele Argentieri, zwei Jahre später wurde ihr Sohn Alessio geboren.
1968 begann Simona Argentieri ihre Ausbildung bei der Società Psicoanalitica Italiana (SPI), wo Eugenio Gaddini, Emilio Servadio und Piero Bellanova zu ihren Lehrern zählte. Ihre Lehranalyse machte sie bei Stefano Fajrajzen. 1992 zählte sie mit Servadio zu den Analytiker:innen, die die SPI verließen und die Associazione Italiana di Psicoanalisi (AIPsi) gründete. Simona Argentieri ist Mitglied der IPA und Lehranalytikerin der AIPsi und lebt als niedergelassenene Psychoanalytikerin in Rom. Sie ist in der Fortbildung von Ärzten und Lehrern tätig, hält Vorträge und Seminare an der Universität sowie in Rundfunk und Fernsehen und hat zahlreiche Essays zu psychoanalytischen, literarischen und kulturellen Themen veröffentlicht. Außerdem engagiert sie sich im Bereich der Bioethik.
Ihr wissenschaftliches Interesse gilt besonders dem Verhältnis von Psychoanalyse und Sprache, frühen Denkprozessen und der Körper-Seele-Beziehung, der psycho-sexuellen Entwicklung, den Themen Unaufrichtigkeit und Vorurteil, schöpferischen Prozessen und der Beziehung der Psychoanalyse zur Kunst, insbesondere zum Film. Besonders bekannt wurde ihr gemeinsam mit Jacqueline Amati Mehler und Jorge Canestri verfasstes Buch La Babele dell'inconscio [Das Babel des Unbewussten], in dem es um Mehrsprachigkeit und die damit verbundenen Spaltungsprozesse geht. In ihrem zuletzt erschienenen Buch A qualcuno piace uguale. Omosessualità e pregiudizio setzt sie sich mit alten und neuen Vorurteilen über Homosexualität auseinander. (Artikelanfang)
Muriel Drazien wurde in New York geboren als Tochter einer Familie mit aschkenasischen Vorfahren. Sie studierte Literaturwissenschaft an der Columbia University und graduierte dort mit einer Arbeit über Marcel Proust. Danach ging sie nach Frankreich und studierte in Straßburg Psychologie bei Lucien Israël. Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt sie bei Jacques Lacan in Paris, der sie auch zum Abschluss eines Medizinstudiums ermunterte.
Muriel Drazien wurde Mitglied der École Freudienne de Paris, und nach der Verlegung ihrer Praxis nach Rom bildete sie zusammen mit zwei weiteren Lacan-Schülern, Giacomo Contri und Armando Verdiglione, das "Tripode" (Dreifuß), mit dem Lacan Mitte der 1970er Jahre eine eigene Schule in Italien aufbauen wollte. Das Vorhaben scheiterte an den Differenzen zwischen den Tripode-Mitgliedern. Erst 1982, ein Jahr nach Lacans Tod, gründete Muriel Drazien mit Marisa Fiumanò und Antonello Sciacchitano die Cosa Freudiana (später ALI-Roma), die erste lacanianische Vereinigung in Italien. Es folgte 1993 die Gründung des Laboratorio Freudiano, eines Ausbildungsinstituts für lacanianisch orientierte Psychotherapeuten, dessen Direktorin Muriel Drazien von 2001 bis 2017 war. Sie war außerdem Mitgründerin der 2010 ins Leben gerufenen Associazione Lacaniana Internazionale in Italien (ALI-in-Italia).
Zu ihren Arbeitsschwerpunkten in den letzten Jahren zählte die lacanianische Lektüre von James Joyce (Lacan lettore di Joyce), wobei sie sich auf Lacans Seminar Le sinthome von 1975/76 bezieht, das dem Werk von Joyce gewidmet war. Muriel Drazien war seit den 1970er Jahren mit dem italienischen Journalisten und Historiker Pasquale Chessa (*1947) verheiratet, von dem ihre Tochter Valentine stammt. (Artikelanfang)
Virginia Finzi Ghisi studierte Philosophie, Cinematografie, Sprachsoziologie und Psychiatrie. In den 1960er Jahren arbeitete sie als Praktikantin im Psychiatrischen Krankenhaus Gorizia mit Franco Basaglia, dem italienischen Vertreter der Antipsychiatrie, zusammen. Seit 1968 ist sie als Psychoanalytikerin tätig. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Philosophen und Psychoanalytiker Sergio Finzi (*1936), war sie Mitinitiatorin der freudomarxistischen Gruppe La Pratica Freudiana in Mailand, die sich als Arbeitsgruppe der lacanianischen École Freudienne de Paris verstand. 1974 gründeten sie die Zeitschrift Il piccolo Hans. Rivista di analisi materialistica, die bis 1994 als Forum für die Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse diente. Danach erschien Il piccolo Hans mit neuen Untertiteln: Il Cefalopodo (ab 1995) bzw. Ambulatorio (ab 1999).
Virginia Finzi Ghisi übersetzte Werke des Marquis de Sade ins Italienische und veröffentlichte neben psychoanalytischen Schriften auch Romane. 1999 erschien unter dem Titel I saggi eine Sammlung ihrer Seminare und Aufsätze aus den Jahren 1968 bis 1998. Eine zentrale Rolle spielt bei ihr der Begriff der "Prothese", deren identitätsbildende Funktion sie ausgehend vom Freudschen "Hilfsapparat" konzipiert hat. (Artikelanfang)
Renata Gaddini de Benedetti wurde in Turin geboren. Sie studierte in Rom Medizin und promovierte dort 1942 zum Dr. med. Während des Studiums lernte sie den Psychoanalytiker Eugenio Gaddini (1916-1985) kennen, den sie 1945 heiratete. Aus dieser Ehe gingen ihre beiden Kinder Silvia und Andrea hervor. Nach Abschluss ihrer pädiatrischen Facharztausbildung 1947 ging sie zur weiteren Spezialisierung in die USA, zunächst an das Institute of Child Development des New York Hospital. Unzufrieden mit der rein physiologischen Ausrichtung von Kinderärzten, wechselte sie 1948 nach Boston, wo sie bei Lucie Jessner, Direktorin des Department of Child Psychiatry am Massachusetts General Hospital, ihre kinderpsychiatrische Fortbildung erhielt.
Zurück in Rom gründete Renata Gaddini 1950 die kinderpsychiatrische Einrichtung Centro di Igiene Mentale in der Clinica Pediatrica del Policlinico Umberto I. Sie absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung und war seit den 1970er Jahren Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana. Nach deren Spaltung 1992 wurde sie Mitglied und Lehranalytikerin der Associazione Italiana di Psicoanalisi. Sie war Professorin für Psicopatologia dell'età evolutiva [Entwicklungspsychopathologie], zunächst von 1978 bis 1984 an der Universität Padua und danach an der Universität La Sapienza in Rom, wo sie auch das Dipartimento di Salute Mentale leitete. Ab 1993 gehörte sie dem Comitato Nazionale per la Bioetica an.
1956 hatte Renata Gaddini auf einem Pädiatriekongress in Kopenhagen Donald W. Winnicott kennengelernt, der ihr Mentor wurde und mit dem sie von 1964 bis 1970 im Briefwechsel stand. Ihr ist die Einführung von Winnicotts Denken in Italien zu verdanken. Sie gab seine ins Italienische übersetzten Schriften heraus und erweiterte Winnicotts Konzept des "Übergangsobjekts" mit dem Konzept des "Vorläuferobjekts" [precursori dell'oggetto], wozu sie sehr frühe Beispiele von Hand-, Finger- und Daumenlutschen sowie Zungensaugen zählte. Ein pathologisches Pendant zu einem nicht geglückten Vorläuferobjekt sind Gaddini zufolge psychosomatische Symptome beim Kind wie Rumination oder Dreimonatskolik, die als Abwehr gegen den Verlust der primären Mutter-Kind-Einheit fungieren und das Negativ der Entwicklung des Übergangsobjekts darstellen. (Artikelanfang)
Luciana Nissim wurde in Turin als älteste Tochter assimilierter jüdischer Eltern, Davide Nissim und Cesira Muggia, geboren und wuchs in Biella auf. Ihr Vater hatte einen Abschluss in Rechtswissenschaften, verlegte sich nach seiner Heirat aber auf den Wollhandel. Luciana Nissim begann 1937 ein Medizinstudium in Turin, das sie trotz der antijüdischen Gesetze 1943 abschließen konnte.
Als im gleichen Jahr deutsche Truppen Norditalien besetzten, schloss sie sich mit ihrer Freundin Vanda Maestro und Primo Levi einer Partisanengruppe im Valle d’Aosta an (Abb.1). Alle drei wurden verhaftet und Anfang 1944 nach Auschwitz deportiert. Vanda Maestro wurde in Auschwitz ermordet, Luciana Nissim wie auch Primo Levi überlebten den Holocaust. Nissim wurde im Lager Birkenau als Ärztin eingesetzt und genoss dadurch relative "Privilegien". 1944 wurde sie in das Arbeitslager Hessisch Lichtenau überführt, und 1945 gelang ihr bei der Evakuierung des Lagers die Flucht. Ein Tagebuch über ihre KZ-Erfahrungen, Ricordi della casa dei morti, erschien 1946.
Nach dem Krieg kehrte Luciana Nissim nach Turin zurück und heiratete 1946 den Wirtschaftswissenschaftler Franco Momigliano (1916-1988), von dem ihr 1960 geborener Sohn Alberto stammt (Abb.2). Luciana Nissim Momigliano schloss 1946 in Turin ihre pädiatrische Facharztausbildung ab und leitete anschließend bis 1956 den Kindergarten der Firma Olivetti.
1956 zog sie mit ihrem Mann nach Mailand, wo sie sich in Psychiatrie spezialisierte, 1959 über Schizophrenie im Kindesalter promovierte und als Kinderpsychiaterin arbeitete. Ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin begann sie 1956 mit einer persönlichen Analyse bei Franco Fornari, gefolgt von einer Lehranalyse bei Cesare Musatti, die sie 1960 abschloss. 1965 wurde sie Mitglied und 1978 Lehr- und Kontrollanalytikerin der Società Psicoanalitica Italiana (SPI). 1986 trat sie die Nachfolge Musattis als Präsidentin des Centro Milanese di Psicoanalisi an.
Luciana Nissim Momigliano vertrat wie Musatti die ursprünglich von Melanie Klein konzipierte Objektbeziehungstheorie und deren Weiterentwicklung durch Wilfred Bion. In ihrem berühmten programmatischen Aufsatz Due persone che parlano in una stanza zur Analytiker-Patient-Beziehung entwarf sie mit Rückgriff auf Bion, Willy und Madeleine Baranger und Robert Langs die Konzeption der analytischen Situation als "two-way affair" bzw. bipersonales Feld, wobei sie den Akzent auf den spiralförmigen wechselseitigen Verlauf des analytischen Dialogs ["dialogo a spirale"] legte. (Artikelanfang)
Alice Ricciardi-von Platen wurde in Weissenhaus (Schleswig-Holstein) als jüngste von vier Töchtern des Grafen Carl von Platen-Hallermund und seiner Frau Elisabeth von Alten geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters besuchte sie ab 1922 das für seine fortschrittliche Pädagogik bekannte Internat Schloss Salem am Bodensee. Ab 1929 studierte sie Medizin in Heidelberg, München, Freiburg, Kiel und Königsberg und schloss ihr Studium 1934 in München ab.
Ihre anschließende Tätigkeit an der von Hans Heinze geleiteten Potsdamer Landesheilanstalt kündigte sie 1936 aus Protest gegen die Behandlung der Patienten. Sie promovierte 1938 und verbrachte die Jahre 1939/1940 in Florenz und Rom. 1941 wurde ihr Sohn Georg aus der Beziehumg zu dem Archäologen Ernst Homann-Wedeking geboren. Alice von Platen-Hallermund arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Landärztin zuerst in Bayern und dann in Oberösterreich, wo sie von systematischen Patiententötungen und Deportationen erfuhr.
Nach Kriegsende war sie von 1946 bis 1947 als Voluntarassistentin bei Viktor von Weizsäcker an der psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg tätig und erhielt dort ihre psychotherapeutische Ausbildung. 1949 übersiedelte sie für mehrere Jahre nach London, wo sie an einer psychotherapeutischen Eheberatungsstelle, die unter Supervision von Michael Balint stand, sowie in mehreren psychiatrischen Krankenhäusern arbeitete. Sie absolvierte ab 1952 am Tavistock Institute of Human Relations eine Ausbildung zur Gruppenanalytikerin und wurde Mitglied der Group Analytic Society. 1956 heiratete sie den italienischen Organisationsberater Augusto Baron Ricciardi (1915-1982) und ließ sich mit ihm 1967 in Rom nieder, wo sie als Psychoanalytikerin praktizierte. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Cortona in der Toscana.
Alice Ricciardi-von Platen war die erste Gruppenanalytikerin in Italien. Sie vertrat den gruppentherapeutischen Ansatz von S. H. Foulkes und initiierte das Centro Italiano di Gruppo Analisi, das 1982 eröffnet wurde. Anfang der 1990er Jahre führte sie die analytische Großgruppe in Italien ein. Außerdem gründete sie zusammen mit Michael Hayne und Josef Shaked die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse im österreichischen Altaussee, wo seit 1976 gruppenanalytische Fortbildungskurse stattfinden.
1946/47 war Alice von Platen-Hallermund gemeinsam mit Alexander Mitscherlich und Fred Miehlke offizielle Beobachterin bei den Nürnberger Ärzteprozessen. Die von ihr 1948 veröffentlichte Dokumentation Die Tötung Geisteskranker in Deutschland deckte die Mittäterschaft deutscher Ärzte an den nationalsozialistischen Euthanasieverbrechen auf. Die Autorin stieß damals mit ihrem Buch auf wenig öffentliches Interesse, erst nach seiner Wiederentdeckung und der Neuauflage 1993 gelangte sie zu internationalem Ansehen. (Artikelanfang)
Mara Selvini Palazzoli war eine Pionierin der Familienpsychotherapie. Sie wurde als viertes von fünf Kindern in Mailand geboren, wo ihr Vater Daniele Palazzoli ein erfolgreicher Geschäftsmann war. Ihre Mutter Italia Palazzoli war eine intelligente Frau mit strengen religiösen Grundsätzen. Ihre ersten drei Lebensjahre verbrachte Mara Palazzoli bei ihrer Amme auf dem Land. Nach dem Besuch einer Klosterschule studierte sie zunächst Archäologie, wechselte dann zur Medizin und absolvierte an der Universitätsklinik von Mailand eine Ausbildung zur Fachärztin für Innere Medizin. 1947 heiratete sie den Kardiologen Aldo Selvini (1913-1989), ihre drei Kinder Michele, Anna und Matteo wurden zwischen 1948 und 1954 geboren. Sie spezialisierte sich in der Psychiatrie und ließ sich ab 1950 zur Psychoanalytikerin weiterbilden. Ihre Lehranalyse machte sie bei Gaetano Benedetti, der 1963 in Mailand das Institut Associatione e scuola di studi psychoanalitici gründete.
Durch ihre Arbeit mit magersüchtigen jungen Frauen begann Mara Selvini Palazzoli sich für die Familientherapie zu interessieren. Gemeinsam mit sieben weiteren Psychoanalytikern und Psychologen gründete sie 1967 in Mailand das Centro per lo Studio della Famiglia e delle Tecniche di Gruppo, das erste familientherapeutische Zentrum Italiens. Zunächst noch klassisch freudianisch ausgerichtet, wandte sie sich bald der systemischen Familientherapie zu und entwickelte Anfang der 1970er Jahre zusammen mit Gianfranco Cecchin, Luigi Boscolo und Giuliana Prata einen an Gregory Batesons Kybernetik und Paul Watzlawicks Kommunikationstheorie orientierten Ansatz, der als "Mailänder Modell" bekannt wurde.
Der Schwerpunkt liegt hier nicht auf dem Verständnis der inneren Dynamik eines Patienten, sondern des Beziehungsgefüges, in dem er sich bewegt. Die Familie wird als organische Einheit mit homöostatischer Tendenz aufgefasst und Krankheit als ein inadäquater Umgang mit Störungen des familiären Gleichgewichts. Eine zentrale Technik bildet dabei das "zirkuläre Fragen", bei dem Gefühle nicht direkt, sondern durch die Einnahme der Perspektive einer anderen beteiligten Person erkundet werden.
1980 löste sich ihr erstes Mailänder Team auf, und Mara Selvini Palazzoli gründete zwei Jahre später in Mailand das Nuovo Centro per lo Studio della Famiglia. In ihrem zuletzt veröffentlichten Buch Ragazze anoressiche e bulimiche [Anorexie und Bulimie] zog sie - unter Mitarbeit ihres Sohnes Matteo Selvini - die Summe aus dreißig Jahren familientherapeutischer Arbeit. (Artikelanfang)
Laura Sinatti wurde in Florenz geboren. Nach dem Medizinstudium und einem zweijährigen internistischen Praktikum spezialisierte sie sich in Klinischer Psychologie an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand. Da ihr Interesse besonders den psychischen Problemen von Kindern galt, arbeitete sie anschließend im Centro Medico-Psico-Pedagogico in Mailand, einer kommunalen Einrichtung nach dem Vorbild der anglo-amerikanischen Child Guidance Clinic.
1965 begann sie ihre psychoanalytische Ausbildung am Istitute Milanese di Psicoanalisi. Gleichzeitig war sie in einer medizin-pädagogischen Einrichtung in Stabio im Tessin tätig und sammelte dort Erfahrungen mit psychotischen Kindern in einer therapeutischen Gruppe. Nach Beendigung ihrer Ausbildung ging sie 1971 nach Palermo, wo sie neben ihrer Tätigkeit als Analytikerin für Kinder und Erwachsene fünf Jahre lang das Centro Medico-Psico-Pedagogico des Ente Nazionale per la Protezione Morale del Fanciullo [Staatlicher Kinderschutzbund] leitete. 1975 wurde sie außerordentliches Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana. 1978 war sie Mitgründerin des Centro Psicoanalitico di Palermo, an dessen Aktivitäten sie sich bis zu ihrem frühen Tod rege beteiligte.
In ihrem Aufsatz Sviluppo della soggettualità e processi di separazione nella relazione analitica ging Laura Sinatti der Frage nach, welche Faktoren in der analytischen Beziehung die Entwicklung von Subjektivität fördern können und welche Rolle Trennungsprozesse dabei spielen. (Artikelanfang)
Alexandra Wolff Stomersee wurde in Nizza geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in St. Petersburg, wo ihr Vater, der baltische Baron Boris Wolff Stomersee, ein hoher Würdenträger am Hof Zar Nikolaus II. war. Ihre Mutter war die berühmte italienische Mezzosopranistin Alice Barbi. 1918, ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters, heiratete Alexandra Wolff den deutsch-baltischen Baron André Pilar von Pilchau (1891-1960), einen international erfolgreichen Bankier.
Als es Anfang der 1920er Jahre wegen der Homosexualität ihres Mannes zu einer Ehekrise kam, machte Alexandra Pilar von Pilchau in Berlin eine persönliche Analyse bei dem aus Riga stammenden Felix Boehm. Danach reiste sie vier Jahre lang von Lettland aus immer wieder nach Berlin, um sich am Berliner Psychoanalytischen Institut zur Psychoanalytikerin ausbilden zu lassen. Ihr Lehranalytiker war Max Eitingon, Kontrollanalytiker Hans Liebermann. 1929 nahm sie Kontakt mit dem italienischen Psychoanalytiker Edoardo Weiss auf und wurde 1936 ordentliches Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana (SPI).
1925 lernte sie in London, wo ihre Mutter mit ihrem zweiten Mann, dem italienischen Botschafter Pietro Tomasi della Torretta, lebte, dessen Neffen Giuseppe Tomasi, Fürst von Lampedusa und Herzog von Palma (1896-1957) kennen, der später durch seinen Roman Il Gattopardo berühmt werden sollte. Sie ließ sich von ihrem ersten Mann scheiden und heiratete 1932 Giuseppe Tomasi (Abb. 1930er). Das Paar zog nach Palermo, wo Alessandra Tomasi als Psychoanalytikerin arbeitete. Das Zusammenleben mit ihrer Schwiegermutter auf dem Familiensitz der Lampedusa gestaltete sich jedoch schwierig, vor allem wegen der engen Bindung Giuseppe Tomasis an seine Mutter. Alessandra Tomasi kehrte 1933 wieder nach Lettland zurück, um auf Schloss Stomersee und in Riga zu leben und Analysen durchzuführen. Als Lettland 1939 durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unter sowjetischen Einfluss geriet und die Deutschbalten umgesiedelt wurden, musste Alessandra Tomasi Ende 1939 ihre Heimat verlassen. Den Krieg verbrachte sie in Rom und Palermo, wo sie seit 1943 wieder mit ihrem Mann zusammenlebte.
Nach Kriegsende spielte Alessandra Tomasi di Lampedusa eine wichtige Rolle bei der Wiederbelebung der psychoanalytischen Bewegung in Italien und wirkte 1946 maßgeblich bei der Organisation des ersten Congresso Nazionale di Psicoanalisi in Rom mit. Sie war eine der ersten Lehranalytiker:innen der 1947 rekonstituierten SPI, zuständig für die Ausbildung der Kandidat:innen in Palermo. Von 1954 bis 1959 war sie Präsidentin der SPI und gehörte der Redaktion der ab 1955 erscheinenden Rivista di Psicoanalisi an. Zu ihren Schülern zählte u. a. der Sizilianer Francesco Corrao.
Das Denken Alessandra Tomasis stand in der Tradition Karl Abrahams und der Berliner Schule. In ihrem 1946 gehaltenen Vortrag Sviluppi della diagnostica e tecnica psicoanalitica [Entwicklungen in der psychoanalytischen Diagnostik und Technik] führte sie in einem Überblick über die psychoanalytische Nosografie den "borderline"-Begriff ein. 1950 hielt sie auf dem zweiten Congresso Nazionale der SPI einen Vortrag zum Thema L'aggressività nelle perversioni [Die Aggression in den Perversionen]. Von Freuds Konzept des Todestriebs ausgehend, entwickelte sie hier am Beispiel eines Falles von Nekrophilie die theoretischen Grundlagen des aggressiven Narzissmus. In ihrer wohl berühmtesten Analyse, vorgetragen Anfang der 1970er Jahre in den psychoanalytischen Zentren in Rom und Palermo, behandelte sie einen Fall von Likanthropie, also einen Patienten, der sich für einen Werwolf hielt. Darin prägte sie in Anlehnung an den Klein'schen Begriff der "projektiven Identifizierung" den Neologismus einer "identifikatorischen Introjektion".
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1957 widmete sich Alessandra Tomasi di Lampedusa neben ihrer Privatpraxis auch der Herausgabe seines Werks. Sie war Ehrenpräsidentin des Centro di Psicoanalisi di Palermo, bis sie in ihrem Palazzo in Palermo an einer Lungenentzündung starb. (Artikelanfang)
Die italienische Psychoanalytikerin Stefania Turillazzi wurde in Grosseto geboren. Sie schloss ihr Studium der Medizin mit Schwerpunkt Psychologie ab und spezialisierte sich in der Gerichtsmedizin. Danach absolvierte sie in den 1950er Jahren ihre psychoanalytische Ausbildung in Rom. Ihr Lehranalytiker war Emilio Servadio, Supervisor Nicola Perrotti. Sie bezeichnete sich selbst als die erste Schülerin von Eugenio Gaddini. 1959 wurde sie Mitglied und zehn Jahre später Lehranalytikerin der Società Psicoanalitica Italiana (SPI). Von 1982 bis 1986 war sie Vizepräsidentin der SPI.
Stefania Turillazzi Manfredi war mit Mario Manfredi verheiratet und hatte zwei Kinder, Gianna und Matteo. Sie arbeitete und lehrte zunächst als Psychoanalytikerin in Rom und Mailand, bevor sie nach Florenz zog. Hier beteiligte sie sich 1974 an der Gründung des Centro Psicoanalitico di Firenze (CPF), mit Giovanni Hautmann als Präsident und Stefania Manfredi als wissenschaftliche Sekretärin. Ihr Schwerpunkt zu der Zeit war die Kinderanalyse.
Stefania Turillazzi Manfredi sympathisierte mit dem Ansatz der "argentinischen Schule", die sich an der Objektbeziehungstheorie von Melanie Klein und deren Schüler:innen orientierte. Insbesondere hat sie das Denken von Willy und Madeleine Baranger in Italien bekannt gemacht, indem sie 1990 mit Antonino Ferro die italienische Übersetzung von deren Buch zur psychoanalytischen Situation als bipersonales Feld herausgab (La situazione psicoanalitica come campo bipersonale). Themen ihrer zahlreichen Aufsätze in der Rivista di Psicoanalisi waren Deutung, projektive Identifikation, Gegenübertragung, analytisches Feld, Acting out, Enactment und Intersubjektivität. International bekannt wurde ihr Text zu James Stracheys Konzept der "mutativen Deutung" (1974).
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