Jacqueline Amati Mehler, Tochter von Marco Mehler und Regina Rosenbach, stammt aus einer österreichisch-jüdischen Familie. Die ersten drei Jahre ihrer Kindheit verbrachte sie in Paris und Barcelona, bis ihre Familie während des Zweiten Weltkriegs nach Argentinien emigrierte. Sie studierte in Buenos Aires Medizin und promovierte in diesem Fach. In den 1970er Jahren verließ sie Argentinien, um sich an der Harvard University in der Psychiatrie zu spezialisieren. Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt sie in Italien bei Eugenio Gaddini. Sie war Gründungsmitglied und Präsidentin der Associazione Italiana di Psicoanalisi (AIPsi), die sich 1992 von der Società Psicoanalitica Italiana (SPI) abgespalten hat.
Jacqueline Amati Mehler lebt und praktiziert heute in Rom. Sie ist Direktorin des Ausbildungsinstituts der AIPsi und Vorsitzende des Komitees für psychoanalytische Ausbildung (COMPSED). Außerdem gibt sie die von der AIPsi getragene Zeitschrift Psicoanalisi heraus. Von 1989 bis 1993 amtierte sie als Generalsekretärin der IPV. Zu ihren wichtigsten Arbeiten gehört das 1990 gemeinsam mit Simona Argentieri und Jorge Canestri veröffentlichte Buch La Babele dell'inconscio [Das Babel des Unbewussten], in dem es um Mehrsprachigkeit und die damit verbundenen Spaltungsprozesse geht. Weitere Themen Amati Mehlers sind männliche Impotenz, die sie als Symptom eines misslungenen Loslösungs- und Individuationsprozesses deutet, und das Verhältnis von Kunst und Psychoanalyse. 1998 erhielt sie den Sigourney Award für bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Psychoanalyse. (Artikelanfang)
Simona Argentieri wurde in Florenz geboren und studierte in Rom Medizin - mit dem Ziel, Psychoanalytikerin zu werden. Sie machte ihre Lehranalyse bei Eugenio Gaddini und wurde Mitglied und Lehranalytikerin der Associazione Italiana di Psicoanalisi (AIPsi), die sich 1992 von der Società Psicoanalitica Italiana abgespalten hatte. Simona Argentieri lebt als niedergelassenene Psychoanalytikerin in Rom und ist in der Fortbildung von Ärzten und Lehrern tätig. Sie hält Vorträge und Seminare an der Universität sowie in Rundfunk und Fernsehen und hat zahlreiche Essays zu psychoanalytischen, literarischen und kulturellen Themen veröffentlicht. Außerdem engagiert sie sich im Bereich der Bioethik.
Argentieris wissenschaftliches Interesse gilt den frühen Denkprozessen, der Körper-Seele-Beziehung, der psycho-sexuellen Entwicklung, den schöpferischen Prozessen und der Beziehung der Psychoanalyse zur Kunst, insbesondere zum Film. Besonders bekannt wurde ihr gemeinsam mit Jacqueline Amati Mehler und Jorge Canestri verfasste Buch La Babele dell'inconscio [Das Babel des Unbewussten], in dem es um Mehrsprachigkeit und die damit verbundenen Spaltungsprozesse geht. In ihrem zuletzt erschienenen Buch A qualcuno piace uguale. Omosessualità e pregiudizio setzt sie sich mit alten und neuen Vorurteilen über Homosexualität auseinander. (Artikelanfang)
Muriel Drazien wurde in New York geboren, wo sie Literaturwissenschaft an der Columbia University studierte und mit einer Arbeit über Marcel Proust graduierte. Danach ging sie nach Frankreich und studierte in Straßburg Psychologie bei Lucien Israël. Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt sie bei Jacques Lacan in Paris, der sie auch zum Abschluss eines Medizinstudiums ermunterte.
Muriel Drazien wurde Mitglied der École Freudienne de Paris, und nach der Verlegung ihrer Praxis nach Rom bildete sie zusammen mit zwei weiteren Lacan-Schülern, Giacomo Contri und Armando Verdiglione, 1974 das "tripode" (Dreifuß), mit dem Lacan eine eigene Schule in Italien aufbauen wollte. Das Vorhaben scheiterte an den Differenzen zwischen den tripode-Mitgliedern. Erst 1982, ein Jahr nach Lacans Tod, gründete Muriel Drazien mit Marisa Fiumanò und Antonello Sciacchitano die Cosa Freudiana (später ALI-Roma), die erste lacanianische Vereinigung in Italien. Es folgte die Gründung des Laboratorio Freudiano, eines Ausbildungsinstituts für lacanianisch orientierte Psychotherapeuten, dessen Direktorin Muriel Drazien von 2001 bis 2017 in Rom war. 2010 war sie außerdem Mitgründerin der Associazione Lacaniana Internazionale in Italien (ALI-in-Italia).
Zu ihren Arbeitsschwerpunkten in den letzten Jahren zählte die lacanianische Lektüre von James Joyce (Lacan lettore di Joyce), wobei sie sich auf Lacans Seminar Le sinthome von 1975/76 bezieht, das dem Werk von Joyce gewidmet war. - Muriel Drazien war seit den 1970er Jahren mit dem italienischen Journalisten und Historiker Pasquale Chessa (*1947) verheiratet, von dem ihre Tochter Valentine stammt.
Virginia Finzi Ghisi studierte Philosophie, Cinematografie, Sprachsoziologie und Psychiatrie. In den 1960er Jahren arbeitete sie als Praktikantin im Psychiatrischen Krankenhaus Gorizia mit Franco Basaglia, dem italienischen Vertreter der Antipsychiatrie, zusammen. Seit 1968 ist sie als Psychoanalytikerin tätig. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Philosophen und Psychoanalytiker Sergio Finzi (*1936), war sie Mitinitiatorin der freudomarxistischen Gruppe La Pratica Freudiana in Mailand, die sich als Arbeitsgruppe der École Freudienne de Paris verstand. 1974 gründeten sie die Zeitschrift Il piccolo Hans. Rivista di analisi materialistica, die bis 1994 als Forum für die Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse diente. Danach erhielt Il piccolo Hans neue Untertitel: Il Cefalopodo (ab 1995) bzw. Ambulatorio (ab 1999).
Virginia Finzi Ghisi übersetzte Werke des Marquis de Sade ins Italienische und veröffentlichte neben psychoanalytischen Schriften auch Romane. 1999 erschien unter dem Titel I saggi eine Sammlung ihrer Seminare und Aufsätze aus den Jahren 1968 bis 1998.
Renata Gaddini de Benedetti studierte in Rom Medizin und machte 1942 ihr Abschlussexamen. Sie spezialisierte sich in Neuropsychiatrie und Pädiatrie. 1945 heiratete sie den Psychoanalytiker Eugenio Gaddini (1916-1985), von dem ihre beiden Kinder Silvia und Andrea stammen. Nach ihrer psychoanalytischen Ausbildung war sie Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana und wechselte nach deren Spaltung 1992 zur Associazione Italiana di Psicoanalisi. Sie war Professorin für Psicopatologia dell'età evolutiva [Psychopathologie der Entwicklung] an der Universität Padua und danach an der Universität La Sapienza in Rom, wo sie auch die Abteilung für Psychische Gesundheit leitete. Außerdem war sie Mitglied des Comitato Nazionale per la Bioetica.
Indem sie ins Italienische übersetzte Schriften von Donald W. Winnicott herausgab, sorgte Renata Gaddini für die Einführung von dessen Denken in Italien. Sie ergänzte Winicotts Konzept des "Übergangsobjekts" durch das des "Vorläuferobjekts", wozu sie sehr frühe Beispiele von Hand-, Finger- und Daumenlutschen sowie Zungensaugen zählte. In Untersuchungen über psychosomatische Symptome zeigte sie, dass diese das Negativ zum Übergangsobjekt darstellen.
Luciana Nissim wurde als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie in Turin geboren und wuchs in Biella auf. Ihr Vater war Textilkaufmann. Trotz der antijüdischen Gesetze konnte sie 1943 ihr Medizinstudium in Turin abschließen. Als im gleichen Jahr deutsche Truppen Norditalien besetzten, schloss sich Luciana Nissim zusammen mit ihren Freunden Primo Levi und Vanda Maestro einer Partisanengruppe an. Sie wurden verhaftet und Anfang 1944 nach Auschwitz deportiert. Während Vanda Maestro in Auschwitz ermordet wurde, überlebten Primo Levi und Luciana Nissim den Holocaust. Nissim wurde im Lager Birkenau als Ärztin eingesetzt und genoss dadurch Erleichterungen. 1944 wurde sie in das Arbeitslager Hessisch Lichtenau überführt, und 1945 gelang ihr bei der Evakuierung des Lagers die Flucht. Ein Tagebuch über ihre KZ-Erfahrungen, Ricordi della casa dei morti, veröffentlichte sie 1946.
Sie kehrte nach Turin zurück und heiratete 1946 den Wirtschaftswissenschaftler Franco Momigliano (1916-1988). Luciana Nissim Momigliano spezialisierte sich auf die Kinderheilkunde und leitete für einige Zeit den Kindergarten von Olivetti. 1956 zog sie Mailand, wo ihr 1960 ihr Sohn Alberto geboren wurde (Abb.). Sie machte eine Lehranalyse bei Cesare Musatti und wurde Mitglied und Lehranalytikerin der Società Psicoanalitica Italiana (SPI). Einer ihrer Schwerpunkte war die Erforschung der Beziehung zwischen Analytiker und Patient, durch die sie in der SPI große Anerkennung fand. (Artikelanfang)
Alice Ricciardi-von Platen wurde in Weissenhaus (Schleswig-Holstein) als jüngste von vier Töchtern des Grafen Carl von Platen-Hallermund und seiner Frau Elisabeth von Alten geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters im Jahr 1919 besuchte sie das für seine fortschrittliche Pädagogik bekannte Internat Schloss Salem am Bodensee. Sie studierte bis 1934 Medizin in Heidelberg, famulierte an einem Berliner Kinderspital und promovierte 1938 zum Dr. med. Nach einem Aufenthalt 1939/40 in Florenz und Rom lebte sie während des Zweiten Weltkriegs mit ihrem kleinen Sohn Georg als Landärztin in Bayern (oder Österreich?).
Nach dem Krieg war sie von 1946 bis 1947 als Voluntarassistentin bei Viktor von Weizsäcker an der psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg tätig und erhielt dort ihre psychotherapeutische Ausbildung. 1949 übersiedelte sie für mehrere Jahre nach London, wo sie an einer psychotherapeutischen Eheberatungsstelle unter der Supervision von Michael Balint sowie in mehreren psychiatrischen Krankenhäusern arbeitete. Sie absolvierte ab 1952 am Tavistock Institute of Human Relations eine Ausbildung zur Gruppenanalytikerin und wurde Mitglied der Group Analytic Society. 1956 heiratete sie den italienischen Organisationsberater Augusto Baron Ricciardi (1915-1982) und ließ sich mit ihm 1967 in Rom nieder, wo sie als Psychoanalytikerin praktizierte. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Cortona in der Toscana.
Alice Ricciardi-von Platen war die erste Gruppenanalytikerin in Italien. Sie vertrat den gruppentherapeutischen Ansatz von S. H. Foulkes und initiierte das Centro Italiano di Gruppo Analisi, das 1982 eröffnet wurde. Anfang der 1990er Jahre führte sie die analytische Großgruppe in Italien ein. Außerdem gründete sie zusammen mit Michael Hayne und Josef Shaked die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse im österreichischen Altaussee, wo seit 1976 gruppenanalytische Fortbildungskurse stattfinden.
1946/47 war Alice von Platen-Hallermund gemeinsam mit Alexander Mitscherlich und Fred Miehlke offizielle Beobachterin bei den Nürnberger Ärzteprozessen. Die von ihr 1948 veröffentlichte Dokumentation Die Tötung Geisteskranker in Deutschland deckte die Mittäterschaft deutscher Ärzte an den nationalsozialistischen Euthanasieverbrechen auf. Die Autorin stieß damals mit ihrem Buch auf wenig öffentliches Interesse, erst nach seiner Wiederentdeckung und der Neuauflage 1993 gelangte sie zu internationalem Ansehen. (Artikelanfang)
Mara Selvini Palazzoli war eine der Pionierinnen der Familientherapie. Sie wurde als jüngstes von vier Kindern in Mailand geboren, wo ihr Vater Daniele Palazzoli ein erfolgreicher Geschäftsmann war. Ihre Mutter Italia Palazzoli war eine intelligente, streng religiöse Frau. Mara Palazzoli studierte in Mailand Medizin und absolvierte danach eine Ausbildung zur Fachärztin für Innere Medizin. 1947 heiratete sie den Kardiologen Aldo Selvini (1913-1989), ihre drei Kinder Michele, Anna und Matteo wurden zwischen 1948 und 1954 geboren. Sie spezialisierte sich dann in der Psychiatrie und machte Anfang der 1950er Jahre eine Lehranalyse bei dem Schweizer Psychoanalytiker Gaetano Benedetti, der 1963 das Mailänder Institut für Psychotherapie gründete.
Durch ihre Arbeit mit magersüchtigen jungen Frauen begann Mara Selvini Palazzoli sich für die Familientherapie zu interessieren. Gemeinsam mit sieben weiteren Psychoanalytikern und Psychologen gründete sie 1967 in Mailand das Centro per lo Studio della Famiglia e delle Tecniche di Gruppo, das erste familientherapeutische Zentrum Italiens. Zunächst noch klassisch freudianisch ausgerichtet, wandte sie sich bald der systemischen Familientherapie zu und entwickelte Anfang der 1970er Jahre zusammen mit Gianfranco Cecchin, Luigi Boscolo und Giuliana Prata einen an Gregory Batesons Kybernetik und Paul Watzlawicks Kommunikationstheorie orientierten Ansatz, der als "Mailänder Modell" bekannt wurde.
Der Schwerpunkt liegt hier nicht auf dem Verständnis der inneren Dynamik eines Patienten, sondern des Beziehungsgefüges, in dem er sich bewegt. Die Familie wird als organische Einheit mit homöostatischer Tendenz aufgefasst und Krankheit als ein inadäquater Umgang mit Störungen des familiären Gleichgewichts. Eine zentrale Technik bildet dabei das "zirkuläre Fragen", bei dem Gefühle nicht direkt, sondern durch die Einnahme der Perspektive einer anderen beteiligten Person erkundet werden.
1982 gründete Mara Selvini Palazzoli in Mailand das Nuovo Centro per lo Studio della Famiglia. In ihrem zuletzt veröffentlichten Buch Ragazze anoressiche e bulimiche [Anorexie und Bulimie] zog sie - unter Mitarbeit ihres Sohnes Matteo Selvini - die Summe aus dreißig Jahren familientherapeutischer Arbeit. (Artikelanfang)
Laura Sinatti wurde in Florenz geboren. Nach dem Medizinstudium und einem zweijährigen internistischen Praktikum spezialisierte sie sich in Klinischer Psychologie an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand. Da ihr Interesse besonders den psychischen Problemen von Kindern galt, arbeitete sie anschließend im Centro Medico-Psico-Pedagogico in Mailand, einer kommunalen Einrichtung nach dem Vorbild der anglo-amerikanischen Child Guidance Clinic.
1965 begann sie ihre psychoanalytische Ausbildung am Istitute Milanese di Psicoanalisi. Gleichzeitig war sie in einer medizin-pädagogischen Einrichtung in Stabio im Tessin tätig und sammelte dort Erfahrungen mit psychotischen Kindern in einer therapeutischen Gruppe. Nach Beendigung ihrer Ausbildung ging sie 1971 nach Palermo, wo sie neben ihrer Tätigkeit als Analytikerin für Kinder und Erwachsene fünf Jahre lang das Centro Medico-Psico-Pedagogico des Ente Nazionale per la Protezione Morale del Fanciullo [Staatlicher Kinderschutzbund] leitete. 1975 wurde sie außerordentliches Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana. 1978 war sie Mitgründerin des Centro Psicoanalitico di Palermo, an dessen Aktivitäten sie sich bis zu ihrem frühen Tod rege beteiligte.
In ihrem Aufsatz Sviluppo della soggettualità e processi di separazione nella relazione analitica ging Laura Sinatti der Frage nach, welche Faktoren in der analytischen Beziehung die Entwicklung von Subjektivität fördern können und welche Rolle Trennungsprozesse dabei spielen.
Alexandra Wolff Stomersee wurde in Nizza geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in St. Petersburg, wo ihr Vater, der baltische Baron Boris Wolff Stomersee, ein hoher Würdenträger am Hof Zar Nikolaus II. war. Ihre Mutter war die berühmte italienische Mezzosopranistin Alice Barbi. 1918, ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters, heiratete Alexandra Wolff den deutsch-baltischen Baron André Pilar von Pilchau (1891-1960), einen international erfolgreichen Bankier.
Als es Anfang der 1920er Jahre wegen der Homosexualität ihres Mannes zu einer Ehekrise kam, machte Alexandra Pilar von Pilchau in Berlin eine persönliche Analyse bei dem aus Riga stammenden Felix Boehm. Danach reiste sie vier Jahre lang von Lettland aus immer wieder nach Berlin, um sich am Berliner Psychoanalytischen Institut zur Psychoanalytikerin ausbilden zu lassen. Ihr Lehranalytiker war Max Eitingon, Kontrollanalytiker Hans Liebermann. 1929 nahm sie Kontakt mit dem italienischen Psychoanalytiker Edoardo Weiss auf und wurde 1936 ordentliches Mitglied der Società Psicoanalitica Italiana (SPI).
1925 lernte sie in London, wo ihre Mutter mit ihrem zweiten Mann, dem italienischen Botschafter Pietro Tomasi della Torretta, lebte, dessen Neffen Giuseppe Tomasi, Fürst von Lampedusa und Herzog von Palma (1896-1957) kennen, der später durch seinen Roman Il Gattopardo berühmt werden sollte. Sie ließ sich von ihrem ersten Mann scheiden und heiratete 1932 Giuseppe Tomasi. Das Paar zog nach Palermo, wo Alessandra Tomasi als Psychoanalytikerin arbeitete. Das Zusammenleben mit ihrer Schwiegermutter auf dem Familiensitz der Lampedusa gestaltete sich jedoch schwierig, vor allem wegen der engen Bindung Giuseppe Tomasis an seine Mutter. Alessandra Tomasi kehrte 1933 wieder nach Lettland zurück, um auf Schloss Stomersee und in Riga zu leben und Analysen durchzuführen. Als Lettland 1939 durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unter sowjetischen Einfluss geriet und die Deutschbalten umgesiedelt wurden, musste Alessandra Tomasi Ende 1939 ihre Heimat verlassen. Den Krieg verbrachte sie in Rom und Palermo, wo sie seit 1943 wieder mit ihrem Mann zusammenlebte.
Nach Kriegsende spielte Alessandra Tomasi di Lampedusa eine wichtige Rolle bei der Wiederbelebung der psychoanalytischen Bewegung in Italien und wirkte 1946 maßgeblich bei der Organisation des ersten Congresso Nazionale di Psicoanalisi in Rom mit. Sie war eine der ersten LehranalytikerInnen der 1947 rekonstituierten SPI, zuständig für die Ausbildung der KandidatInnen in Palermo. Von 1954 bis 1959 war sie Präsidentin der SPI und gehörte der Redaktion der ab 1955 erscheinenden Rivista di Psicoanalisi an. Zu ihren Schülern zählte u. a. der Sizilianer Francesco Corrao.
Das Denken Alessandra Tomasis stand in der Tradition Karl Abrahams und der Berliner Schule. In ihrem 1946 gehaltenen Vortrag Sviluppi della diagnostica e tecnica psicoanalitica [Entwicklungen in der psychoanalytischen Diagnostik und Technik] führte sie in einem Überblick über die psychoanalytische Nosografie den "borderline"-Begriff ein. 1950 hielt sie auf dem zweiten Congresso Nazionale der SPI einen Vortrag zum Thema L'aggressività nelle perversioni [Die Aggression in den Perversionen]. Von Freuds Konzept des Todestriebs ausgehend, entwickelte sie hier am Beispiel eines Falles von Nekrophilie die theoretischen Grundlagen des aggressiven Narzissmus. (Artikelanfang)
In ihrer wohl berühmtesten Analyse, vorgetragen Anfang der 1970er Jahre in den psychoanalytischen Zentren in Rom und Palermo, behandelte sie einen Fall von Likanthropie, also einen Patienten, der sich für einen Werwolf hielt. Darin prägte sie in Anlehnung an den Klein'schen Begriff der "projektiven Identifizierung" den Neologismus einer "identifikatorischen Introjektion".
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1957 widmete sich Alessandra Tomasi di Lampedusa neben ihrer Privatpraxis auch der Herausgabe seines Werks. Sie war Ehrenpräsidentin des Centro di Psicoanalisi di Palermo, bis sie in ihrem Palazzo in Palermo an einer Lungenentzündung starb.