Dass die Psychoanalyse in Ungarn bereits früh Fuß fassen konnte, lag nicht nur am Engagement Sándor Ferenczis (1873-1933), sondern auch an dem Enthusiasmus, mit dem die Budapester Literaten und Künstler die Idee des Unbewussten aufgriffen. Ungarn, eigenständiges Königreich innerhalb der Östereichisch-Ungarischen Monarchie, erlebte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen Modernisierungsschub, der eine tiefe Kluft zwischen der westlich orientierten Hauptstadt Budapest und dem konservativ-nationalistischen Landadel zur Folge hatte.
Aus dieser Gesellschaft im Umbruch gingen die ungarischen Pioniere der Psychoanalyse hervor, viele von ihnen gleich Ferenczi unkonformistische Neuerer wie Melanie Klein, die mithilfe ihrer Spieltechnik zu einer neuen Theorie der kindlichen Objektbeziehungen gelangte, Géza Róheim, der die psychoanalytische Anthropologie begründete, Imre Hermann, bekannt durch seine psychoanalytisch-denkpsychologischen Schriften und seine Anklammerungstheorie, Michael Balint, der Schöpfer der Balint-Gruppen, Franz Alexander, Begründer der psychoanalytischen Psychosomatik, René Spitz mit seiner bahnbrechenden Hospitalismus- und Säuglingsforschung oder Sándor Radó, Fachmann auf dem Gebiet der Depressionen und des Drogenmissbrauchs.
Einige aus Ungarn stammende PsychoanalytikerInnen nahmen ihre analytische Tätigkeit erst im Ausland auf, so z. B. Abraham Brill (USA), Bela Grunberger (Frankreich), Barbara Lantos (Deutschland), Nicolas Abraham und Maria Torok (Frankreich) sowie die in Wien ausgebildete und später in die USA emigrierte Margaret Mahler.
Der in Budapest praktizierende Nervenarzt Sándor Ferenczi gehörte zu den engsten Freunden Sigmund Freuds und gilt als einer der begabtesten Kliniker in der Geschichte der Psychoanalyse. Ferenczi, der die sog. Budapester Schule begründete, trat für eine aktive Technik des Analytikers ein, die auch eine liebevolle "Bemutterung" einschloss. Er prägte die Begriffe "sekundärer Narzissmus" und "Introjektion" und leistete einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Gegenübertragung. Seine Analysandin Melanie Klein ließ sich durch die von ihm entwickelten Grundlagen einer Kinderpsychoanalyse zu ihrer eigenen Theorie inspirieren. Von nachhaltiger Wirkung waren auch seine Thesen zur präödipalen Mutter-Kind-Dyade, die er neben den Ödipuskomplex stellte, sowie sein Festhalten an der Traumatheorie und seine Arbeit über die Entwicklung des Wirklichkeitssinns als Beitrag zur Ichtheorie.
Bereits 1909 vertrat Ferenczi die Sache der Psychoanalyse in einer Vorlesungsreihe vor der Budapester Ärzteschaft, die sich jedoch mehrheitlich ablehnend verhielt. 1910 wurde auf seine Anregung hin die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) ins Leben gerufen; 1913 erfolgte die Gründung der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung Magyarországi Pszichoanalitikai Egyesület (MPE), deren erster Präsident er war. Weitere Gründungsmitglieder waren der Psychiater István Hollós, Hugó Ignotus, der Chefredakteur der progressiven Literaturzeitschrift Nyugat, der Internist Lajos Lévy und der Arzt Sándor Radó. Auf Anregung von Hollós, der ein Pionier des Open-door-Systems in der Psychiatrie war, nahm die Ungarische Vereinigung als eine der ersten die Analyse von Psychotikern in ihr Lehrprogramm auf.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stellte die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung ihre meist im Kaffeehaus stattfindenden Sitzungen ein, nahm sie jedoch 1916 wieder auf. 1918 fand in Budapest der 5. Internationale Psychoanalytische Kongress statt, auf dem die Psychoanalyse der Kriegsneurosen einen Schwerpunkt bildete und für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte. Ein Jahr später vergrößerte sich die Budapester Vereinigung um die neuen Mitglieder Melanie Klein, Géza Róheim, Imre Hermann, Zsigmond Pfeifer und Erzsébet Révész. In dieser Zeit gewann die Psychoanalyse mit dem Budapester Brauereibesitzer Anton von Freund, den Sigmund Freud von einer Neurose geheilt hatte, einen Mäzen, dem die Finanzierung des 1919 in Wien gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Verlags zu verdanken war.
Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Folge des verlorenen Kriegs proklamierten Béla Kun und die Sozialisten im März 1919 in Ungarn die Räterepublik. Budapester Medizinstudenten nutzten den kulturrevolutionären Elan, um die Einrichtung eines Lehrstuhls für Psychoanalyse und dessen Besetzung durch Ferenczi zu fordern. Die Kandidatur wurde akzeptiert, und im Mai 1919 erhielt Ferenczi als erster Psychoanalytiker in der Geschichte der Psychoanalyse eine Universitätsprofessur. Im Vergleich mit den Wiener Psychoanalytikern stand die Budapester Schule politisch weiter links. So betonte Ferenczi sozialpsychologische Aspekte stärker als Freud, und viele spätere ungarische PsychoanalytikerInnen, wie Therese Benedek, Barbara Lantos, Imre Hermann, Lilly Hajdu, Miklós Gimes, Jenö Harnik, Lillian Rotter und Edith Gyömröi, gehörten linksintellektuellen Zirkeln wie dem Galilei- oder dem Sonntagskreis an.
Die erste öffentliche Anerkennung der Psychoanalyse in Ungarn währte nur kurz: 133 Tage nach ihrer Proklamierung wurde die Räterepublik durch rumänische und tschechische Invasionstruppen zur Aufgabe gezwungen und musste dem reaktionären Horthy-Regime weichen. Eine Welle von Antisemitismus und Repression war die Folge, die auch die Psychoanalyse nicht verschonte. Viele ungarische AnalytikerInnen emigrierten nach Deutschland, darunter Melanie Klein, Therese Benedek, Margaret Mahler, Michael und Alice Balint, Franz Alexander, Jenö Hárnik und Sándor Radó. Ferenczi blieb in Budapest, wurde aber aus der Ärztekammer ausgeschlossen, all seiner öffentlichen Ämter enthoben und musste sich in seine Privatpraxis zurückziehen.
Bald setzte jedoch eine relative Liberalisierung ein, die der Ungarischen Vereinigung eine Reorganisation erlaubte - auch wenn der größte Teil der Ärzteschaft weiterhin die Psychoanalyse ablehnte und jüdische Ärzte 1925 gezwungen wurden, ihren Dienst zu quittieren. Emigrierte AnalytikerInnen wie Edith Gyömröi und Michael und Alice Balint kehrten nach Budapest zurück. (Abb.: Sándor Ferenczis 50. Geburtstag, Budapest 1923) Um Michael Balint und Imre Hermann bildeten sich zwei kontroverse Gruppen, die meisten Mitglieder hielten sich aber eher in der Mitte. Zwischen den beiden Weltkriegen entstand neben Budapest ein weiteres Zentrum in Kolozsvár (Klausenburg). In Budapest gab es seit 1930 eine psychoanalytische Erziehungsberatungsstelle, und 1931 wurde in der Villa von Vilma Kovács das Institut der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung gegründet sowie eine von Ferenczi geleitete psychoanalytische Poliklinik für Erwachsene und Kinder eröffnet.
Mit dem Erstarken des Faschismus wurden die Bedingungen allerdings härter. Die Regierung von Miklós Horthy erließ zwischen 1938 und 1941 eine Reihe von antijüdischen Gesetzen, die von Berufsverbot und Arbeitsdienst bis zum Verbot von Mischehen reichten. Bereits seit 1932 unter der Aufsicht der politischen Polizei stehend, hielt es die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung 1941 für nötig, ihre Führung zu arisieren. Anstelle von István Hollós, der nach Ferenczis Tod im Jahr 1933 die Präsidentschaft übernommen hatte, wählte man mit Endre Almásy einen sogenannten Urchristen zum Präsidenten. Ein Jahr später stellte die Vereinigung zum Schutz ihrer Mitglieder öffentliche Zusammenkünfte weitgehend ein und traf sich nur noch in Privatwohnungen.
Die massenhafte Deportation und Ermordung ungarischer Juden setzte mit dem Einmarsch der Deutschen 1944 in Ungarn und der Schreckensherrschaft der faschistischen Pfeilkreuzler unter Ferenc Szálasi ein. Zsigmond Pfeifer, Miklós Gimes, László Révész, Géza Dukes, Erzsébet Kardos, Miklós Sugár und József Eisler fielen ungarischen oder deutschen Faschisten zum Opfer. István Hollós entging dank dem Eingreifen des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg in letzter Minute einer Hinrichtung.
Die Balints flohen nach England, Edith Gyömröi nach Ceylon. Géza Róheim, Robert Bak, Franz Alexander (bereits 1930), Fanny Hann-Kende, Sándor Feldmann und Géza Róheim emigrierten in die USA, Klara Lázár-Gerö nach Australien. Leopold Szondi, der Erfinder der Schicksalsanalyse, der einzigen in Ungarn entstandenen nicht-freudianischen psychoanalytischen Schule, überlebte das KZ Bergen-Belsen und ging 1946 in die Schweiz.
In Budapest geblieben waren Imre Hermann und eine Handvoll AnalytikerInnen, darunter seine Frau Alice Hermann, Endre Petö, Katá Lévy, Lucy Liebermann und Lilly Hajdu-Gimes. Nach Kriegsende verbesserte sich die Situation für die Psychoanalyse zunächst. Imre Hermann, der wie viele seiner KollegInnen der Kommunistischen Partei Ungarns beigetreten war, erhielt einen Lehrstuhl für Psychoanalyse an der Budapester Universität. Lilly Hajdu, Alice Hermann, István Hollós, Vilmos Kapos, Tibor Rajka, Renée Amár und Lillian Rotter nahmen einflussreiche Positionen im Erziehungs- und Gesundheitswesen ein. Seit 1949 jedoch verfolgte die an die Macht gelangte Kommunistische Partei mit Mátyás Rákosi an der Spitze einen stalinistischen Kurs. Freuds Lehre wurde nun als "Hauspsychologie des Imperialismus" bekämpft. Da half es auch nichts, dass einige ungarische Psychoanalytiker wie Pál Gartner, Lilly Hajdu und István Schönberger eine Annäherung an die von den Kommunisten als "marxistische Psychologie" favorisierte Reflextheorie Iwan Petrowitsch Pawlows versuchten.
Nachdem die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung bereits eine Selbstauflösung beschlossen hatte, wurde sie 1949 offiziell für aufgelöst erklärt. Die psychoanalytische Methode selbst wurde jedoch nicht verboten, und so konnten ungarische Psychoanalytikerinnen - es waren in den 1950er Jahre vor allem die Frauen - in ihren Privatpraxen weiterarbeiten und Lehranalysen durchführen.
Nach der Niederschlagung des Volksaufstands von 1956 kam es zu einer Entstalinisierung, die eine gewisse Abschwächung der feindseligen Haltung gegenüber der Psychoanalyse mit sich brachte. Diese wurde jedoch weder gefördert noch erhielt sie Forschungszuwendungen, während die Psychiatrie fest in den Händen ihrer Gegner blieb. Noch Mitte der 1970er Jahre stufte die Ungarische Akademie der Wissenschaften die Psychoanalyse - in Übereinstimmung mit dem sowjetischen Feldzug gegen den Freudismus - als eine besonders gefährliche Disziplin ein. Kritisiert wurde vor allem ihr angeblicher Irrationalismus und ihre demoralisierende Überbetonung der Sexualität. Auch bekannte ungarische TheoretikerInnen wie der Philosoph Georg Lukács und die Soziologin Agnes Heller verurteilten die Freudsche Lehre. Während die gesellschaftstheoretische Seite der Psychoanalyse immer mehr an Bedeutung verlor, konnte die klinische in den 1980er Jahren von einer weiteren ideologischen Auflockerung profitieren.
Vonseiten der internationalen psychoanalytischen Bewegung blieb den ungarischen Analytikern die Anerkennung zunächst ebenfalls versagt. Einige von ihnen, darunter Imre Hermann, erhielten 1965 die IPA-Mitgliedschaft und konnten wieder offiziell als Lehranalytiker arbeiten. 1975 wurden die Hermann-Schüler:innen Livia Nemes, György Hidas, Adorján Linczényi, Gábor Paneth und György Vikár direkte Mitglieder der IPA. 1981 konnte sich in der Ungarischen Psychiatrischen Gesellschaft eine psychoanalytische Arbeitsgruppe etablieren, die von Livia Nemes geleitet wurde. 1983 wurde die ungarische Gruppe von der IPA als Provisorische Gesellschaft anerkannt, deren Präsidentin Livia Nemes acht Jahre lang war. Aber erst 1989, als Ungarn ein demokratisches Land wurde, erreichte die Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE) die Anerkennung als Vollmitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. In den 1990er Jahren zählte die MPE über vierzig Mitglieder, aktuell (2023) sind es 117 Mitglieder.
Bereits 1988 konstituierte sich in Budapest die Sándor Ferenczi Society, die von 1990 bis 2010 die Zeitschrift Thalassa herausgab. Ihre Nachfolge trat 2011 die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Imágó Budapest an.