Psychoanalytikerinnen. Biografisches Lexikon

Geschichte der Psychoanalyse in Ungarn

Biografien

Nachdem die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung bereits eine Selbstauflösung beschlossen hatte, wurde sie 1949 offiziell für aufgelöst erklärt. Die psychoanalytische Methode selbst wurde jedoch nicht verboten, und so konnten ungarische Psychoanalytikerinnen - es waren in den 1950er Jahre vor allem die Frauen - in ihren Privatpraxen weiterarbeiten und Lehranalysen durchführen.
Nach der Niederschlagung des Volksaufstands von 1956 kam es zu einer Entstalinisierung, die eine gewisse Abschwächung der feindseligen Haltung gegenüber der Psychoanalyse mit sich brachte. Diese wurde jedoch weder gefördert noch erhielt sie Forschungszuwendungen, während die Psychiatrie fest in den Händen ihrer Gegner blieb. Noch Mitte der 1970er Jahre stufte die Ungarische Akademie der Wissenschaften die Psychoanalyse - in Übereinstimmung mit dem sowjetischen Feldzug gegen den Freudismus - als eine besonders gefährliche Disziplin ein. Kritisiert wurde vor allem ihr angeblicher Irrationalismus und ihre demoralisierende Überbetonung der Sexualität. Auch bekannte ungarische TheoretikerInnen wie der Philosoph Georg Lukács und die Soziologin Agnes Heller verurteilten die Freudsche Lehre. Während die gesellschaftstheoretische Seite der Psychoanalyse immer mehr an Bedeutung verlor, konnte die klinische in den 1980er Jahren von einer weiteren ideologischen Auflockerung profitieren.

Institutionalisierung nach 1989

Vonseiten der internationalen psychoanalytischen Bewegung blieb den ungarischen Analytikern die Anerkennung zunächst ebenfalls versagt. Einige von ihnen, darunter Imre Hermann, erhielten 1965 die IPA-Mitgliedschaft und konnten wieder offiziell als Lehranalytiker arbeiten. 1975 wurden die Hermann-Schüler:innen Livia Nemes, György Hidas, Adorján Linczényi, Gábor Paneth und György Vikár direkte Mitglieder der IPA. 1981 konnte sich in der Ungarischen Psychiatrischen Gesellschaft eine psychoanalytische Arbeitsgruppe etablieren, die von Livia Nemes geleitet wurde. 1983 wurde die ungarische Gruppe von der IPA als Provisorische Gesellschaft anerkannt, deren Präsidentin Livia Nemes acht Jahre lang war. Aber erst 1989, als Ungarn ein demokratisches Land wurde, erreichte die Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE) die Anerkennung als Vollmitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. In den 1990er Jahren zählte die MPE über vierzig Mitglieder, aktuell (2023) sind es 117 Mitglieder.
Bereits 1988 konstituierte sich in Budapest die Sándor Ferenczi Society, die von 1990 bis 2010 die Zeitschrift Thalassa herausgab. Ihre Nachfolge trat 2011 die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Imágó Budapest an.

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