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Seit 1710 Teil des Russischen Reichs, erlangte Estland wie die anderen baltischen Staaten 1918 die Unabhängigkeit. 1940 wurde das Land als Estnische Sozialistische Sowjetrepublik (ESSR) von der Sowjetunion annektiert, von 1941 bis 1944 von deutschen Truppen besetzt, danach von der Roten Armee. 1944 wiederhergestellt, bestand die ESSR bis 1990, als Estland sich zur unabhängigen Republik erklärte.
Erstmals bekannt machte die Psychoanalyse in Estland der estnische Pädagoge Aleksander Elango, der sich besonders für die praktische Anwendbarkeit der Ideen Sigmund Freuds, Alfred Adlers und C. G. Jungs in der Pädagogik interessierte. Die Psychoanalyse als Psychotherapie spielte bis 1940 in Estland keine Rolle. In der ESSR von 1940 bis 1988 – unterbrochen durch die deutsche Besatzungszeit – fand eine öffentliche Diskussion der als dekadent geltenden Psychoanalyse nicht statt. Einer der wenigen Verfechter psychoanalytischer Ideen bzw. des Ansatzes von C. G. Jung, war der Psychiater und Autor Vaino Vahing.
Anfang der 1990er Jahre wurden Kontakte geknüpft zu der estnischen Psychoanalytikerin Eve Suurvee in Schweden und den Psychoanalytiker:innen Ulla Arnell, Tiit Saarmann and Carl-Erik Brattemo in Finnland. In der Folge startete in Finnland ein erstes Ausbildungsprogramm in psychoanalytischer Psychotherapie für Interessierte aus Estland. 1994 initiierten Sinne Naruskberg und Ants Parktal in Talinn die Professionaalse Psühholoogia Erakool [Private School of Professional Psychology], wo erstmals in Estland psychoanalytische Theorie und Parxis auf dem Lehrplan einer staatlich anerkannten Institution stand.
Von 2000 bis 2004 fand in Helsinki eine vierjährige psychoanalytische Ausbildung psychoanalytisch orientierter Psychotherapeuten aus Russland, Estland und Lettland nach IPA-Kriterien statt, angeboten von der finnischen psychoanalytischen Gesellschaft Suomen Psykoanalyyttinen Yhdistys. Die vier estnischen Kandidat:innen Erika Saluveer, Endel Talvik, Andres Adams und Ants Parktal wurden Direktmitglieder der IPA. In Finnland und Schweden ausgebildete Psychoanalytiker:innen gründeten 2004 die erste Estonian Psychoanalytic Society gegründet, die Eesti Psühhoanalüütiline Selts. Den Vorstand bilden heute Merike Alas, Edith Herkel und Erika Saluveer,
2012 initiierten estnische und lettische Psychoanalytiker:innen die Estonian-Latvian Psychoanalytic Society als IPA Study Group. Die offizielle Gründung der Estnisch-lettischen psychoanalytischen Gesellschaft Eesti-Läti Psühhoanalüütiline Selts (ELPS) fand 2016 statt. Heute (2021) ist die ELPS Provisional Society der International Psychoanalytical Association (IPA) und der European Psychoanalytical Federation (EPF). Sie hat derzeit 14 Mitglieder, Präsidentin ist Silvija Lejniece. 2014 wurde die Eesti Psühhoanalüütilise Psühhoteraapia Assotsiatsioon (EPPA) als Dachorganisation für psychoanalytische Psychotherapie gegründet.
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Lettland gehörte seit 1795 zum Russischen Kaiserreich, bis es 1918 unabhängig wurde. Interesse an der Psychoanalyse kam in Lettland in den 1920er und 1930er Jahren auf. Großen Anteil daran hatte der Schweizer Pädagoge und Psychoanalytiker Ernst Schneider, der von 1920 bis 1928 in deutscher Sprache am pädagogischen Institut der Universität Lettland in Riga lehrte. Er war ein Analysand von Oskar Pfister und C. G. Jung und vor allem ein Wegbereiter der psychoanalytischen Pädagogik in Lettland. Seine Vorlesungen wurden von der lettischen Kinderpsychologin Eleonora Upatniece ins Lettische übersetzt. In seiner 1920 gehaltenen Vorlesung "Was ist Psychoanalyse" fiel das Wort "Psychoanalyse" öffentlich zum ersten Mal in Lettland. Auch der österreichische Psychoanalytiker Rudolf von Urbantschitsch hielt 1928 Vorlesungen in Riga und in Liepāja.
Die ersten lettischen professionell arbeitenden Psychoanalytiker:innen waren die Nervenärztin Millija Vosvinieks, die Pädagogin Berta Bers und die Ärztin Feiga Kramer. Alle drei erhielten ihre psychoanalytische Ausbildung in den 1920er und 1930er Jahren am Berliner Psychoanalytischen Institut (BPI). Aus Riga stammte der Psychoanalytiker Felix Boehm, dessen Analysandin Alexandra Wolff Stomersee war, eine Baroness mit deutsch-baltischen Wurzeln, die später eine wichtige Rolle in der psychoanalytischen Bewegung in Italien spielte.
Institutionell etablieren in Lettland konnten sich die Anhänger:innen Alfred Adlers und seiner Individualpsychologie: 1928 wurde in Riga die erste Lettische Gesellschaft für Individualpsychologie gegründet, 1930 folgte eine weitere, die Latvijas Individuālpsiholoģijas biedrība, die von Jānis Bunduls geleitet wurde und bis 1936 bestand. Zu den lettischen Anhänger:innen der Individualpsychologie zählte Milda Liepiņa.
Nach dem Staatsstreich 1934 herrschte unter Kārlis Ulmanis ein autoritäres Regime, politische Parteien wurden verboten. Obwohl die Verstaatlichung von Banken und Großindustrie den Interessen vieler jüdischer Finanziers und Unternehmer zuwiderlief, verfolgte Ulmanis keine antisemitische Politik. So nahm das Land ab 1938 verfolgte Juden aus Deutschland und Österreich auf. Dass Fenichel in dieser Zeit von einem "lettischen Faschismus" sprach, passte jedoch zu den unter Ulmanis propagierten konservativ nationalistischen Blut-und-Boden-Werte. Die Psychoanalyse konnte in enem solchen Umfeld nur Anstoß erregen.
Während Siegfried Bernfeld 1932 und 1933 in Riga noch Vorlesungen über die Psychoanalyse halten konnte, wurde dies ein Jahr später Otto Fenichel untersagt. Dieser hielt 1935 fest, dass lettische Übersetzungen von Freuds Schriften verboten und jüdische Analytiker in Riga politisch verfolgt wurden. Die Psychoanalytikerin Berta Bers, Leiterin einer jüdischen Schule in Riga, wurde vom Schuldienst suspendiert und emigrierte nach New York. Eine letzte lettische Übersetzung Freuds, nämlich seiner Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie [Trīs apcerējumi par seksuālo teoriju], erschien 1935.
Während der deutschen Besatzungszeit (1941-1944) konnte das Institut für Experimentelle Psychologie an der Philologisch-Philosophischen Fakultät der Universität Lettland seine Arbeit fortsetzen. In der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1944-1990) hingegen kamen Psychologie und Psychotherapie nahezu zum Erliegen. Anerkannt waren einzig die Lehren Pawlows und anderer russischer Experimentalpsychologen.
Nach der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1990 kam mit dem schwedisch-lettischen Familientherapeuten Andrejs Ozolins die psychoanalytische Psychotherapie nach Lettland. 2005 etablierte die Finish Association of Child and Adolescent Psychoanalytic Psychotherapy in Lettland ein Ausbildungsprogramm für psychoanalytische Psychotherapie. Ein Jahr später richteten die kanadischen Kinderanalytikerinnen Frieda Martin und Elizabeth Tuters eine Infant Mental Health Organisation in Lettland ein.
2012 initiierten estnische und lettische Psychoanalytiker:innen die Estonian-Latvian Psychoanalytic Society als IPA Study Group. Die offizielle Gründung der Estnisch-lettischen psychoanalytischen Gesellschaft Eesti-Läti Psühhoanalüütilise Selt (ELPS) fand 2016 statt. Heute (2021) ist die ELPS Provisional Society der IPA und der European Psychoanalytical Federation (EPF). Sie hat derzeit 14 Mitglieder, Präsidentin ist Silvija Lejniece. (Artikelanfang)
Litauen gehörte seit 1795 zu Russland, bis es 1918 souveräne Republik wurde, die ab 1926 allerdings autoritär geführt wurde. Nach der sowjetischen Okkupation im Jahr 1940 wurde das Land zur Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik, unterbrochen von der deutschen Besetzung (1941–1944), und erlangte erst 1990 seine Unabhängigkeit zurück.
In der Zeit von 1919 bis 1940 zeigten litauische Intellektuelle Interesse für Sigmund Freuds Lehre, regulär ausgebildete Psychoanalytiker;innen gab es während dieser Zeit in Litauen aber wohl nicht. Ein prominenter Verfechter der Psychoanalyse war der später in Dachau ermordete Arzt und Psychologe Vladas Lazersonas. Die Etablierung der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik 1944 bedeutete einen Rückschlag für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse, nun als bourgeoise Pseudowissenschaft abgestempelt. Einer der wenigen psychoanalytisch Praktizierenden war der Psychiater Aleksandras Alekseičikas, der ab Mitte der 1970er Jahre psychoanalytische Techniken in die Gruppenpsychotherapie einführte.
1987 gründeten die psychoanalytisch orientierten Psychotherapeuten Virginijus Pocius, Rimvydas Augis und Levas Kovarskis die Lithuanian Group of Dynamic Psychology, aus der 1989 die Lietuvos psichoanalizės taikymo draugija [Lithuanian Society for the Application of Psychoanalysis] hervorging. Die Mitglieder ließen sich teils in Finnland, teils in von der European Psychoanalytical Federation (EPF) in Litauen organisierten Workshops ausbilden, deren Präsidentin Han Groen-Prakken sich besonders für die Institutionalisierung der Psychoanalyse in Osteuropa einsetzte. Ab 1995 wurde nach dem Vorbild der Nederlandse Vereniging voor Psychoanalytische Psychotherapie ein Ausbildungsprogramm in psychoanalytischer Psychotherapie etabliert. Die Lehranalytiker kamen überwiegend aus Holland oder waren in Finnland ausgebildete Litauer. 2000 wurde die Lietuvos psichoanalizės taikymo draugija in Lietuvos psichoanalizės draugija (LPaD) [Lithuanian Society of Psychoanalysis] umbenannt und wurde assoziiertes Mitglied der European Federation for Psychoanalytic Psychotherapy (EFPP). Präsidentin der LPaD ist derzeit Ilona Kajokienė. Seit 2011 findet die psychoanalytische Ausbildung im Rahmen der Philosophischen Fakultät der Universität Vilnius statt.
1994 bildete sich an der Medizinischen Universität Kaunas unter der Leitung der Ärztin Vida Mickienė die Studiengruppe Kauno psichoanalizės ir psichoterapijos studijų grupė, die mit dem Institutt for Psykoterapi in Oslo zusammenarbeitete. Daraus ging 2008 die Kauno psichoanalizės ir psichoterapijos studijų draugiją (KPPSD) [Society for the Study of Psychoanalysis and Psychotherapy] hervor, die im selben Jahr Vollmitglied der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) wurde. Derzeitige Vorsitzende der KPPSD ist Gražina Vilcinienė. Eine weitere psychoanalytische Gesellschaft ist die 2006 gegründete Vilniaus Psichoanalitikų draugija (VPsaD) [Vilnius Society of Psychoanalysts], die 2009 als Vilnius Study Group von der IPA anerkannt wurde. (Artikelanfang)
Eine psychoanalytische Bewegung von Bedeutung hat es in Polen nicht gegeben. Aber nicht wenige bekannte PsychoanalytikerInnen stammten aus diesem Land, so Ludwig Jekels, Hermann Nunberg, Helene Deutsch, Eugenia Sokolnicka und Hanna Segal.
Entscheidend für die Verbreitung der Psychoanalyse in Polen vor dem Ersten Weltkrieg war der Psychiater Ludwig Jekels, ein Schüler und Freund Sigmund Freuds. Er führte die psychoanalytische Methode in seinem 1897 gegründeten Sanatorium in Bystra (Schlesien) ein, wo er zusammen mit Hermann Nunberg nervenkranke Patienten analysierte. Jekels übersetzte als Erster die Schriften Freuds ins Polnische und machte 1909 auf einem Kongress in Warschau polnische Neurologen, Psychiater und Psychologen mit der Psychoanalyse bekannt. In der seit 1911 von ihm herausgegebenen Bücherreihe Polska Biblioteka Psychoanalityczna erschienen psychoanalytische Aufsätze in polnischer Sprache. Mitte der 1920er Jahre, nach der Etablierung eines unabhängigen polnischen Staats, belebte sich die psychoanalytische Szene, und es bildeten sich psychoanalytische Arbeitsgruppen in Warschau, Lodz, Krakau, Lemberg und Posen. Der Versuch Eugenia Sokolnickas, 1920 eine polnische psychoanalytische Gesellschaft ins Leben zu rufen, scheiterte allerdings, und die Analysandin Freuds ging ein Jahr später nach Paris.
Als herausragender polnischer Psychoanalytiker der Zwischenkriegszeit gilt Gustaw Bychowski, der bis zu seiner Emigration 1939 an der psychiatrischen Universitätsklinik Warschau tätig war. Er verfasste eine spektakuläre psychoanalytische Studie über den polnischen Dichter Julius Slowacki und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Psychoanalyse der Psychosen. Zum Warschauer Kreis gehörten auch der Psychiater Maurycy Bornsztajn, der 1930 an der Freien Universität in Warschau die ersten Vorträge einer Vorlesungsreihe zu psychoanalytischen Themen hielt, und Roman Markuszewicz, Autor einer polnischen Geschichte der Psychoanalyse. Weitere polnische Psychoanalytiker dieser Zeit waren Tadeusz Bilikiewicz (Krakau) und Stefan Borowiecki (Posen) sowie Józef Mirski, Jan Kuchta, Adam Wizel, Leopold Wolowicz, Rudolf Kesselring, Norbert Praeger, Tadeusz Jaroszynski, Wladyslaw Matecki und Natalja Zyberlast-Zandowa. Besonderes Interesse fand die Psychoanalyse in intellektuellen und pädagogischen Kreisen Polens, angefeindet wurde sie vor allem von der katholischen Kirche.
Der Zweite Weltkrieg setzte der Entwicklung der polnischen psychoanalytischen Bewegung ein Ende. Ihre Repräsentanten verließen das Land oder sie wurden von den Nazis ermordet.
Nach Kriegsende galt die Freudsche Lehre wie in den anderen sozialistischen Ländern auch in Polen als imperialistische bürgerliche Ideologie. Erst Ende der 1950er Jahre gab es bei Ärzten und Psychologen wieder ein größeres Interesse für die Psychoanalyse. Aus Mangel an polnischen Lehranalytikern musste die neue Psychoanalytikergeneration ihre Ausbildung in Prag und in Budapest absolvieren, so Jan Malewski, Zbigniew Sokolik und Michael Lapinski. 1963 gründete Malewski das Ośrodek Psychoterapii in Rasztów, das erste psychoanalytisch orientierte Psychotherapiezentrum in Polen. Malewski und Lapinski emigrierten nach Heidelberg bzw. Australien, während Sobolik in Warschau blieb.
Seit den 1970er Jahren wurde die Psychoanalyse an der Psychiatrischen Universitätsklinik Warschau und am Institut für Psychologie gelehrt und angewendet. Anfang der 1990er waren ca. dreißig Mitglieder in der psychoanalytischen Abteilung der Polnischen Gesellschaft für Psychologie organisiert. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers entstanden Anfang der 1990er Jahren das von Katarzyna Walewska geleitete Instytut Psychoanalizy i Psychoterapii (IPP) und die Polskie Towarzystwo Rozwoju Psychoanalizy [Polnische Gesellschaft für die Entwicklung der Psychoanalyse], deren Erste Vorsitzende Elzbieta Bohomolec war. 1997 ging daraus die Polskie Towarzystwo Psychoanalityczne (PTPa) hervor, deren erste Präsidentin von 1997 bis 2001 Anna Czownicka war. Die PTPa ist Mitgliedsgesellschaft der IPV und hat derzeit 42 Mitglieder. (Artikelanfang)
Dass Sigmund Freud 1856 in Freiberg in Mähren, dem heutigen Pribor in der Tschechischen Republik, geboren wurde, hatte keinen Einfluss auf die Geschichte der Psychoanalyse in der Tschechoslowakei. Erst 1936 erschien eine erste tschechische Übersetzung seiner Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Pioniere der Psychoanalyse in der Tschechoslowakei waren der in Uhlíre bei Prag geborene Jaroslaw Stuchlík und der aus Russland stammende Nikolaj Ossipow.
Der Psychiater Jaroslaw Stuchlík war während seiner medizinischen Ausbidung in der Schweiz Carl Gustav Jung begegnet und veröffentlichte 1915 seinen ersten psychoanalytischen Beitrag. Zwei Jahre später besuchte er Sigmund Freud in Wien und nahm an den Seminaren und Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) teil. Nach der 1918 erfolgten Gründung der Tschechoslowakischen Republik leitete Stuchlík von 1919 bis 1938 die Neuropsychologische Abteilung der Staatsklinik in Kaschau (Košice) in der Ost-Slowakei, wo er sich für die Anwendung der Psychoanalyse in Diagnostik und Therapie einsetzte. Mehrere seiner Schüler wurden Psychoanalytiker, so Emanuel Windholz, Sándor Lorand und Jan Frank.
Der russische Psychiater Nikolaj Ossipow hatte 1911 die Moskauer Psychoanalytische Gesellschaft gegründet. Nach der Oktoberrevolution emigrierte er in die Tschechoslowakei, wo er von 1923 bis 1932 an der Karls-Universität in Prag Vorlesungen über Psychoanalyse hielt. Ossipow initiierte eine psychoanalytische Gruppe in Prag, zu deren Mitgliedern u. a. der russische Emigrant Theodor Dosužkov zählte. Stuchlíks Schüler Emanuel Windholz, der slowakisch-jüdischer Herkunft war, begann in Berlin seine psychoanalytische Ausbildung, bevor er 1931 nach Prag zurückkehrte. Er übersetzte Arbeiten Sigmund Freuds in Tschechische und gab 1932 das erste tschechische Jahrbuch der Psychoanalyse heraus. Auf Windholz', Ossipows und Stuchlíks Initiative wurde 1931 eine Gedenktafel an Freuds Geburtshaus in Freiberg angebracht.
Nachdem Hitler 1933 in Deutschland die Macht übernommen hatte, wurde Prag mit seiner relativ großen deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe ein wichtiger Zufluchtsort für viele Emigranten aus Deutschland. In der Tschechoslowakei gab es unter Beneš, der 1935 Masaryk ablöste, keine Einschränkungen für Psychoanalytiker in der Ausübung ihres Berufs. Zu den PsychoanalytikerInnen, die 1933 aus Berlin nach Prag kamen und die Prager Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft bildeten, gehörten Franziska (Frances) Deri mit ihren beiden Analysandinnen Elisabeth Gerö-Heymann und Annie Reich, Steff Bornstein, Heinrich und Yela Löwenfeld. Später kamen Hanna Heilborn, Michalina Endelmann, Otto Fenichel (1935 als Emissär der WPV) und Christine Olden hinzu. Zu den tschechischen Mitgliedern bzw. Gästen zählten Theodor Dosužkov, Richard Karpe, Jan Frank, Emanuel Windholz, Therese Bondy, Marietta Karpe sowie Marie und Otto Brief. Der bereits in Prag praktizierende Emanuel Windholz setzte seine Ausbildung bei Frances Deri fort.
Im Herbst 1933 begann die Prager Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft (Psychoanalyticka Skupina v ČSR) mit ihrer Ausbildungstätigkeit, Vorsitzende war bis 1935 Franziska Deri. 1934 wurde die Prager Arbeitsgemeinschaft auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Luzern der WPV angegliedert und 1936 auf dem Marienbader Psychoanalytischen Kongress als Tschechoslowakische Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse von der IPA anerkannt. 1935 übernahm der Wiener Freudomarxist Otto Fenichel die Leitung der Prager Arbeitsgemeinschaft (bis 1938) und gründete zusätzlich eine Marxistisch-Analytische Arbeitsgemeinschaft.
Zwischen 1938, dem Anschluss Österreichs an Deutschland, und 1939, dem Überfall auf die Tschechoslowakei, verließen die meisten Mitglieder der Prager Arbeitsgemeinschaft das Land. Zurück blieben Steff Bornstein-Windholzowa, die 1939 verstorbene letzte Vorsitzende der Prager Arbeitsgemeinschaft, Therese Bondy, Marie und Otto Brief, die alle drei deportiert und ermordet wurden, und Theodor Dosužkov, der als einziger Lehranalytiker während des Kriegs im Untergrund Analysanden ausbildete und die deutsche Besatzungszeit in Prag überlebte.
Dosužkov betrieb 1946 in Prag die Neugründung der Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse, mit damals 23 Mitgliedern, und hielt Vorlesungen über Psychoanalyse an der Karls-Universität. Die stalinistische Machtübernahme im Jahr 1948 beendete die Nachkriegsentwicklung der nun als bürgerlich-dekadent geltenden Psychoanalyse in der ČSSR. 1952 löste sich die Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse auf, ein Teil ihrer Mitglieder, darunter Theodor Dosužkov, Otakar Kučera, Ladislav Haas, Marie Bénová und Věra Fischelová, setzte die psychoanalytische Arbeit in privatem Rahmen fort.
Durch den Prager Frühling belebte sich die psychoanalytische Bewegung der ČSSR in den 1960er Jahren wieder, wurde aber mit dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen 1968 erneut in ihrer Entwicklung behindert, auch wenn die Psychoanalyse selten öffentlich angegriffen wurde.
Psychoanalytisch Interessierte organisierten sich in der Psychotherapeutischen Abteilung der J. E. Purkyne Psychiatrie-Gesellschaft und schufen schließlich 1988 eine eigenständige Fachgruppe für Psychoanalyse. 1967 begründeten Jaroslav Skála, Eduard Urban und Jaromír Rubeš (SUR) ein informelles Ausbildungssystem für integrative Gruppenpsychotherapie, aus dem 1999 der offizielle Verein SUR mit einem psychotherapeutischen Ausbildungsinstitut hervorgegangen ist.
Zu Beginn der 1980er Jahre gründeten Pavel Tautermann, Alena Zizkova, Marie Bénová und Zdeněk Mrázek eine illegale psychoanalytische Gruppe, aus der 1990, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, die Česká Psychoanalytická Spolecnost (ČPS) hervorging. Ihr erster Präsident war der Dosužkov-Schüler Miroslav Borecký. Die ČPS besteht derzeit (2021) aus 43 Mitgliedern. Anfang der 1990er Jahre gründete Michael Šebek die Česká společnost pro psychoanalytickou psychoterapii (ČSPAP), die seit 1999 zweimal im Jahr die Zeitschrift Revue psychoanalytická psychoterapie herausgibt. (Artikelanfang)