Die aus Frankreich stammende Françoise Girard schloss ihr Studium am Institut de Psychologie in Paris mit dem Diplom in Pädagogischer Psychologie ab. Sie war bereits Professorin für Psychologie, als sie am Pariser Institut de Psychanalyse ihre psychoanalytische Ausbildung begann. Sie war eine Schülerin Jacques Lacans und wurde 1953 außerordentliches Mitglied der Société Psychanalytique de Paris (SPP). 1951 heiratete sie den franko-kanadischen Psychiater Jean Baptiste Boulanger (1922-2000) aus Montréal, der zu der Zeit seine psychiatrische und psychoanalytische Ausbildung in Paris absolvierte. Sie ging mit ihm 1953 nach Kanada, wo sich beide am Aufbau der Société Canadienne de Psychanalyse beteiligten.
Françoise Boulanger begeisterte sich für die Ideen Melanie Kleins und bot dieser 1949 an, ihr Buch The Psycho-Analysis of Children ins Französische zu übersetzen. Melanie Klein hatte aber bereits Lacan als Übersetzer gewonnen, der jedoch die Lust verlor und die Arbeit schließlich an Françoise Boulanger und ihren Mann weitergab. Obwohl Françoise Boulanger durch ihren vorzeitigen Tod nach einer Operation das Erscheinen von La psychanalyse des enfants im Jahr 1959 nicht mehr erlebte, hatte sie doch mit ihrer Initiative entscheidend zur Einführung der Kleinschen Ideen in den französischen Sprachraum beigetragen.
Gabrielle Clerk, eine Pionierin der kanadischen Psychoanalyse, wurde in Ottawa als Tochter des Bauunternehmers Raymond Brunet geboren. Sie studierte Psychologie an der Universität von Montréal, wo sie 1948 ihr Diplom ablegte und 1953 mit einer Arbeit über den prognostischen Wert des Rorschach-Tests zum Dr. phil. promovierte. Von 1949 an lehrte sie an der Universität von Montréal klinische Psychologie mit psychoanalytischer Orientierung, seit 1966 als ordentliche Professorin bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1987. Außerdem war sie als Beraterin am Kinderkrankenhaus in Montreal tätig.
Ihre psychoanalytische Ausbildung absolvierte Gabrielle Clerk am Institut Canadien de Psychanalyse, wo sie 1968 als erste Frau in Kanada die Zulassung als Psychoanalytikerin erhielt. Sie spezialisierte sich auf Kinder- und Jugendlichenanalyse und war in der Société Canadienne de Psychanalyse für die Ausbildung von Kinderanalytiker:innen zuständig. Schwerpunkte ihrer Lehre waren projektive Techniken, Psychopathologie von Kindern und Jugendlichen, Aggressionsforschung und die Psychosexualität der Frau. Dabei legte sie auch auf die Einbeziehung des soziologischen Blicks Wert. Besonders interessierten sie Objektbeziehungen und Bindung, Bisexualität und Fetischismus sowie die Rolle der Mutter von schizophrenen Kindern.
In ihrem Aufsatz La féminisation de la psychologie beschrieb Gabrielle Clerk die psychoanalytischen Aspekte der Interaktion von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Wissenschaften, speziell der Psychologie. Sie wies auf die Problematik des männlich geprägten Objektivitätsanspruchs hin und plädierte für eine Anerkennung der mit Weiblichkeit assoziierten Beziehung zwischen dem Forscher und seinem Objekt.
Gabrielle Clerk war seit 1949 mit Marc Clerk (1923-2018) verheiratet und hatte zwei Kinder: Nathalie und David. Sie starb im Alter von 89 Jahren in Cowansville, Québec. (Artikelanfang)
Barbara Ruth Easser wurde in Toronto als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie geboren. Ihr Vater Sam Easser, ein aus Polen nach Kanada eingewanderter Maschinenschlosser, war als Gewerkschafter und Sozialist aktiv. Ihre Mutter Sarah, ebenfalls aus Osteuropa stammend, teilte die politischen Ideen ihres Mannes. Ruth Easser absolvierte während des Zweiten Weltkriegs an der Universität von Toronto ein Medizinstudium, das sie 1945 abschloss.
Danach ging sie in die USA, wo sie von 1946 bis 1949 ihre psychiatrische und psychoanalytische Ausbildung an der von Sándor Radó geleiteten Columbia University Psychoanalytic Clinic for Training and Research in New York erhielt. Ihre Lehranalyse machte sie bei Fanny von Hann-Kende. Mit 27 Jahren als Psychoanalytikerin zugelassen, eröffnete sie eine Privatpraxis in New York. 1953 wurde sie Lehranalytikerin und Supervisorin an der Columbia University Psychoanalytic Clinic, war dort von 1954 bis 1967 Aufnahmebeauftragte (Admissions Service Supervisor) und lehrte psychoanalytische Techniken. 1968 wurde sie klinische Professorin für Psychiatrie am Columbia College of Physicians and Surgeons.
1950 heiratete sie ihren Kollegen, den Psychiater und Psychoanalytiker Stanley R. Lesser (1919-1986), und zog vier Kinder groß, zwei adoptierte Töchter und zwei eigene Söhne. Ruth Easser und Stanley R. Lesser verfassten mehrere psychoanalytische Arbeiten gemeinsam. 1970 verließen sie die USA und gingen nach Toronto, wo Ruth Easser als erste Frau Lehranalytikerin und Supervisorin an dem ein Jahr zuvor gegründeten Toronto Institute of Psychoanalysis wurde. Bis 1975 lehrte sie Psychiatrie an der Universität Toronto und am Mount Sinai Hospital.
Als brillante und gesuchte Lehrerin hatte Ruth Easser großen Einfluss auf die Nachkriegsgeneration von Psychoanalytikern. Ihre Schwerpunkte waren die hysterische und die narzisstische Persönlichkeit, die Entwicklung von Affekten (nach Radó) und die Hemmung von Gefühlen und Empathie. Als ihre wichtigsten Arbeiten gelten Hysterical personality. A re-evaluation (1965 mit Lesser), wo sie zwischen hysterischen und hysteroiden Patientinnen unterschied, Transference resistance in hysterical character neurosis (1966 mit Lesser) und Empathetic inhibition and psychoanalytic technique (1974) über die schwierige Behandlung der narzisstischen Persönlichkeit und deren manifesten Mangel an Empathie.
Ruth Easser starb im Alter von 53 Jahren an Krebs. Durch ihren frühen Tod blieben viele ihrer Arbeiten unveröffentlicht. (Artikelanfang)
Die aus Ägypten stammende Psychoanalytikerin Nadia Gargour studierte Psychologie in Montréal und machte 1978 ihren BA an der Concordia University Montreal. 1984 schloss sie ihr Psychologiestudium mit dem MA an der Université de Montréal ab. Ihre Masterarbeit schrieb sie über freiwillig alleinerziehende Mütter und deren Kinder.
Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt sie an dem 1961 in Montreal eröffneten Canadian Institute of Psychoanalysis. Sie wurde Mitglied der Canadian Psychoanalytic Society, wo sie fast dreißig Jahre lang an der Spitze der Verwaltung stand. Nadia Pahilo Gargour war mit Gilbert Gargour verheiratet, von dem ihre beiden Kinder Brigitte und Philippe stammen. Sie starb im Alter von 52 Jahren bei einem Autounfall. (Artikelanfang)
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Die Frankokanadierin Josette Garon-Léonard schloss 1968 ihr Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Montréal mit einer Dissertation über Psychoanalyse und Kunst ab. Nach ihrer Ausbildung zur Psychoanalytikerin wurde sie Mitglied der Société Psychanalytique de Montréal und eröffnete eine private Praxis in Montréal. Sie war Redaktionsmitglied der Zeitschrift Interprétation, und nachdem diese 1981 eingestellt wurde, gründete sie 1984 gemeinsam mit Jacques Mauger, Lise Monette und François Peraldi die Zeitschrift Frayages, von der bis 1987 drei Ausgaben erschienen sind. Außerdem ist sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift Filigrane. Sie praktiziert heute in Outremont (Québec).
Einen Schwerpunkt Josette Garons bildet die Behandlung von Erwachsenen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden. In ihrem Aufsatz Skeletons in the closet, den sie bei der Conferencia Internacional "Sandor Ferenczi Clínico" 2002 in Turin vortrug, schildert Garon die Anwendung der Traumatheorie von Sándor Ferenczi bei der Analyse traumatisierter Erwachsener. Im Zentrum steht dabei das transgenerationale Trauma, das heißt die unbewusste Weitergabe unausgesprochener Familiengeheimnisse und verleugneter traumatischer Erfahrungen von einer Generation auf die nächste, wo sie als Fremdkörper im Psychischen wirksam sind (vgl. Maria Torok). (Artikelanfang)
Mireille Lafortune, die Tochter von Omer Lafortune und Mireille geb. Daoust, schloss 1958 ihr Psychologiestudium an der Universität Montréal ab. Zwei Jahre zuvor hatte sie den kanadischen Psychiater und Psychoanalytiker Julien Bigras (1932-1989) geheiratet, der zu der Zeit noch Medizin studierte. Aus ihrer Ehe, die 1967 wieder geschieden wurde, gingen drei Söhne hervor. Der älteste war der 1957 geborene Sänger Dan Bigras. 1960 gingen Mireille und Julien Bigras für drei Jahre nach Paris, wo Julien Bigras seine psychoanalytische Ausbildung absolvierte und Mitglied der Société Psychanalytique de Paris wurde.
Mireille Lafortune machte eine Lehranalyse bei einem Mitglied der Société Canadienne de Psychanalyse (SCP), wurde aber als nicht-ärztliche "Laienanalytikerin" nicht in die SCP aufgenommen. Sie entschied sich Ende der 1960er Jahre als unabhängige Psychoanalytikerin in Montréal zu praktizieren. 1972 promovierte sie über Le sentiment de culpabilité et le choix d'une méthode contraceptive chez les femmes zum Dr. phil. und war von 1970 bis 1991 Professorin für Psychologie an der Université du Québec à Montréal (UQAM), wo sie als eine der ersten Psychoanalyse lehrte. 1988 beteiligte sie sich an der Gründung der Groupe d'Études Psychanalytiques Interdisciplinaires (GÉPI), einer Vereinigung psychoanalytisch orientierter Professor:innen der UQAM.
Wie François Peraldi, an dessen 1976 in Montréal eingerichteten lacanianischen Seminar sie teilnahm, vertrat Mireille Lafortune die Ideen Lacans. Ein wichtiges Thema war für sie die Weiblichkeit, u. a. in ihrem Aufsatz Le sujet emprisonné über das Weibliche als multiple Metapher in der Psychoanalyse. Sie beschrieb darin zwei Arten von Repräsentationen des Weiblichen, eine phallische und eine archaische, wobei letztere unfassbar bleibt und - im Sinne Michèle Montrelays - auf ein Jenseits der Sprache verweist. Lafortunes Interesse galt auch qualitativen Forschungsansätzen in der Psychologie, mit denen sie sich in ihrem Buch Le psychologue pétrifié befasste.
In den 1970er Jahren engagierte sich Mireille Lafortune für das Recht auf Abtreibung und war eine Zeitlang mit dem Arzt Henry Morgentaler (1923-2013) liiert, der in Kanada dieses Recht vor Gericht erstritt. (Artikelanfang)
Eva Lester machte 1959 ihr Diplom in Psychologie. Sie absolvierte ein Medizinstudium und eine psychiatrische Facharztausbildung und lehrte als Professorin für Psychiatrie an der McGill-Universität in Montreal. Sie war Mitglied der Canadian Psychoanalytic Society und Lehranalytikerin und Supervisorin am Canadian Institute of Psychoanalysis. 1993 gründete sie die Zeitschrift Canadian Journal of Psychoanalyis / Revue canadienne de psychanalyse, deren Chefredakteurin sie von 1993 bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben im Jahr 2002 war.
Zu den Schwerpunkten Eva Lesters zählten die weibliche Sexualität, klinische und theoretische Fragen der Schwangerschaft sowie Unterschiede in der Übertragung und Gegenübertragung weiblicher und männlicher Patienten bzw. Analytiker. Viel diskutiert wurde ihr Aufsatz The female analyst and the erotized transference über eine von ihr beobachtete geringere erotisierte Übertragung männlicher Patienten auf Analytikerinnen als bei Patientinnen auf männliche Analytiker üblich. Lester erklärt dies damit, dass in einem frühen Stadium der Analyse der Patient durch die Angst vor der bedrohlichen phallischen Mutter gehemmt ist.
In ihrem gemeinsam mit Glenn Gabbard verfassten Buch Boundaries and Boundary Violations in Psychoanalysis geht es um Grenzen und Grenzverletzungen - sexuelle wie nichtsexuelle - in der psychoanalytischen Theorie und Praxis, die anhand von Beispielen aus der Geschichte der Psychoanalyse und aus der klinischen Praxis erörtert werden.
1998 wurde Eva P. Lester mit dem Sigourney Award ausgezeichnet. (Artikelanfang)
Die kanadische Philosophin und Psychoanalytikerin Lise Monette unterrichtete von 1962 bis 1966 Philosophie am Collège Saint-Denis in Montréal. Ergänzend zu ihrer philosophischen Ausbildung machte sie ein Praktikum an der psychiatrischen Klinik Saint-Jean-de-Dieu und am Kinderkrankenhaus Ste-Justine in Montréal. Von 1966 bis 1969 studierte Lise Monette an der École Pratique des Hautes Études in Paris und nahm während dieser Zeit an Jacques Lacans Seminar teil.
Zurück in Kanada lehrte sie Philosophie am Cégep de Sorel-Tracy, bevor sie 1970 ihre Stelle an der Université du Québec à Montréal (UQAM) antrat, wo sie bis 1994 Professorin für Philosophie war. Während der 1970er Jahre war sie eine der ersten, die in die feministische Theorie und die Lacansche Psychoanalyse einführten; sie beteiligte sich auch an dem von François Peraldi 1976 eingerichteten lacanianischen Seminar. 1988 war sie Mitgründerin der Groupe d'Études Psychanalytiques Interdisciplinaires (GÉPI), einer Vereinigung psychoanalytisch orientierter Professor:innen der UQAM.
Nach einer persönlichen Analyse absolvierte Lise Monette eine psychoanalytische Ausbildung bei der Société Psychanalytique de Montréal (SPM), wurde dort 1978 Mitglied und war seit 1988 bis zu ihrer Emeritierung als Lehranalytikerin und Supervisorin am Institut Psychanalytique de Montréal (IPM) tätig. Gemeinsam mit Jacques Mauger leitete sie hier mehrere Jahre lang ein Seminar zur Einführung in Lacans Denken. Von 1991 bis 1993 amtierte sie als Präsidentin der SPM, von 1993 bis 1995 war sie Direktorin des IPM, von 1997 bis 1999 Präsidentin der Société Canadienne de Psychanalyse, und ab 2003 leitete sie zwei Jahre lang das Institut Canadien de Psychanalyse. Außerdem war sie Mitherausgeberin der inzwischen eingestellten Zeitschriften Frayages und Trans.
Die beiden grundlegenden Themen im Werk von Lise Monette sind Trauer und Weiblichkeit. Die Trauer behandelte sie z. B. im Zusammenhang mit ihren Thesen von den melancholischen Wurzeln der psychoanalytischen Berufung und der Gegenübertragung als Trauerarbeit sowie mit der Analyse melancholischer Patienten ("fidèles de la mort"). Schlüsselbegriffe ihrer psychoanalytischen Theorie des Weiblichen sind - in Anlehnung vor allem an Joan Riviere und Luce Irigaray - Polymorphismus, Unentscheidbarkeit und Maskerade.
Lise Monette hat sich besonders für die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Psychoanalyse interessiert. Ihrer Meinung nach kann das psychoanalytische Wissen, da es sich auf Unbewusstes und Verdrängtes bezieht, nur partiell, fragmentarisch und konjektural sein. Monettes zentrale Thesen sind in konzentrierter Form in dem mit Jacques Mauger verfassten Aufsatz Pure culture enthalten, der von den Widerständen des Analytikers gegen den psychoanalytischen Prozess handelt. (Artikelanfang)