Renée Amár Alice Balint Charlotte Balkányi Therese Benedek (Deutschland) Ágnes Binét Aranka Böhm Susan Déri (USA) Margit Dubovitz Judith Dupont (Frankreich) Ilona Felszeghy Izette de Forest (USA) Edith Gyömröi Lilly Hajdu Fanny Hann-Kende Alice Hermann |
Margit Herz (Österreich) Erzsébet Kardos Mária Kircz-Takács Sára Klaniczay Melanie Klein (England) Vilma Kovács Barbara Lantos (England) Klara Lázár-Gerö (Australien) Kata Lévy Lucy Liebermann Magda Ligeti Vera Ligeti (Österreich) Margaret Mahler (USA) Julia Mannheim (England) Livia Nemes |
Lili Perl Margit Pfeiffer Erzsébet Radó-Révész Vera Roboz (Australien) Lillian Rotter Zelma Rubin-Färber Piroska Stein Clara Thompson (USA) Maria Torok (Frankreich) Katarina Vértes (Skandinavien) Teréz Virág Lilla Wagner Rosa Walk (Österreich) |
Renée Amár wurde in Budapest in eine ungarisch-jüdische Familie als Tochter von Michael D. Amár und Regina Strakosch geboren. Sie schloss 1916 ihr Medizinstudium an der Budapester Universität ab und spezialisierte sich als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Renée Amár arbeitete als Ärztin im Schwartzer-Sanatorium (ab 1921 Siesta-Sanatorium), einer privaten Nervenheilanstalt in den Budaer Bergen. Nach einer Lehranalyse bei Michael Balint wurde sie 1939 Mitglied, später Lehranalytikerin der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyarországi Pszichoanalitikai Egyesület (MPE)]. Sie war in den 1920er/30er Jahren außerdem Mitglied der Ungarischen Individualpsychologischen Vereinigung und der Ungarischen Graphologischen Vereinigung.
Renée Amar überlebte der Holocaust und gehörte der MPE bis zu deren Auflösung 1949 an. Wie andere in Ungarn gebliebene Psychoanalytiker:innen besetzte sie in der Nachkriegszeit einflussreiche Positionen im Gesundheitswesen. Beispielsweise wurden in der neugegründeten Vereinigung zum Schutz der psychischen Gesundheit (LESZ) [Lelki Egészségvédelmi Szövetség] sieben Psychoanalytiker in verschiedene Ämter gewählt, darunter István Hollós als Vizepräsident und Renée Amar im Propagandaausschuss. Alle Aktivitäten der LESZ wurden jedoch von der Kommunistischen Partei unterbunden. 1947 war Renée Amár als stellvertretende Chefärztin der Nationalen Sozialversicherungsanstalt OTI [Országos Társadalombiztosító Intézet] tätig, die 1950 liqudiert wurde. (Artikelanfang)
Alice Székely-Kovács wurde in Budapest geboren, sie war die älteste Tochter der ungarischen Psychoanalytikerin Vilma Kovács und deren erstem Mann Zsigmond Székely. Ihre Schwester, die Künstlerin Olga Székely-Kovács, wurde u. a. durch ihre Karikaturen von Psychoanalytikern bekannt. Als ihre Mutter sich von Székely scheiden ließ und den Architekten Frédéric Kovács heiratete, blieben Alice und ihre beiden Geschwister zunächst beim Vater, der sie einer halbverrückten Dienerin anvertraute. Nach einer mehrjährigen Trennung flohen die Kinder um 1910 zu ihr Mutter und wurden später von Frédéric Kovács adoptiert.
Alice Székely-Kovács studierte in Budapest Mathematik und Ethnologie und wurde eine Schülerin des Ethnopsychoanalytikers Géza Róheim. An der Universität vertiefte sich ihre Bekanntschaft mit Michael Balint (1896-1970), dem Bruder ihrer Schulfreundin Emmi, der dort sein Medizinstudium absolvierte. 1921 heirateten sie und gingen nach Berlin, um sich am Psychoanalytischen Institut ausbilden zu lassen. Noch im gleichen Jahr begannen sie eine Analyse bei Hanns Sachs. Alice Balint wurde 1923 außerordentliches Mitglied der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung. 1924 kehrte sie mit ihrem Mann nach Budapest zurück und schloss zwei Jahre später ihre psychoanalytische Ausbildung bei Sándor Ferenczi ab. 1926 wurde sie Mitglied, später Lehranalytikerin der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)], deren führende Kinderanalytikerin sie in den 1920er und 1930er Jahren war.
1939, nach dem Inkrafttreten antijüdischer Gesetze, verließen die Balints Ungarn und emigrierten mit ihrem Sohn János (John) nach England. Beide wurden noch im gleichen Jahr in die British Psycho-Analytical Society aufgenommen. Alice Balint beteiligte sich am Aufbau einer psychoanalytischen Gesellschaft in Manchester, sie starb jedoch drei Monate nach ihrer Ankunft in England plötzlich an einer Gehirnblutung.
Alice Balint beschäftigte sich vor allem mit pädagogischen Fragen und einer Theorie der Erziehung. Sie interessierte sich außerdem für eine psychoanalytische Ethnographie, indem sie auf ethnologisches Material zurückgriff und Parallelen zog zwischen der Entwicklung des Kindes und der Psychologie der sog. primitiven Völker. Ihr mit zahlreichen Beispielen versehenes Buch Psychoanalyse der frühen Lebensjahre, das 1931 in Ungarn erschien, war eine Pionierarbeit über den Einfluss der Triebobjekte auf die psychische Entwicklung des Kindes. Alice Balint relativierte zwar die gesellschaftlichen Erziehungsziele, bejahte aber die Notwendigkeit eines zwingenden erzieherischen Einflusses auf Kinder, denen dabei jedoch die geringst möglichen Opfer abverlangt werden sollen.
Alice und Michael Balint leisteten beide einen wichtigen Beitrag zur Entwicklungstheorie der frühen Ojektbeziehungen. In ihrem Aufsatz Liebe zur Mutter und Mutterliebe beschrieb Alice Balint die archaische Mutter-Kind-Beziehung als primäre Objektliebe ohne Realitätssinn, aus der sich durch Anpassung an die Realität sozial höherstehende Liebesweisen entwickeln.
Eine Sammlung ihrer Aufsätze erschien 1941 posthum unter dem Titel Anya és gyermek [Mutter und Kind]. Eine Gesamtausgabe ihrer Schriften hat 1997 und 1998 die französische Zeitschrift Le Coq-Héron herausgebracht. (Artikelanfang)
Die Kinderanalytikerin Sári (später Charlotte) Balkányi wurde in Budapest geboren als zweite der vier Töchter von Kálmán Balkányi und seiner Frau Edit Vészi. Ihr Vater, ein angesehener ungarisch-jüdischer Jurist und Wirtschaftsjournalist, war Direktor des Ungarischen Handelsverbands OMKE. Sári Balkányi heiratete 1932 den Arzt János Pogány (1900-1933), der bereits ein Jahr später starb. 1933 begann sie ein Studium an der Budapester Heilpädagogischen Hochschule und schloss 1937 als Diplom-Logopädin ab. Anschließend unterrichtete sie bis 1946 am Israelitischen Landesinstitut für Taubstumme in Budapest.
Von 1935 bis 1941 absolvierte sie eine Lehranalyse bei Endre Almásy, dem späteren Präsidenten der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)]. 1948 wurde sie Mitglied der MPE, kurz bevor diese aufgelöst wurde. Ihr Einführungsreferat hielt sie über eine Patientin, die nach Bergen-Belsen deportiert worden war, das KZ überlebte und danach von ihr weiterbehandelt wurde. Die Fallstudie wurde 1961 unter dem Titel Psycho-analysis of a stammering girl veröffentlicht.
Charlotte Balkányi arbeitete in der Nachkriegszeit als Kinderanalytikerin in Budapest; anders als viele ihrer ungarischen Kolleg:innen trat sie jedoch nicht der regierenden Kommunistischen Partei bei. Zeitweilig gehörte sie dem Kreis um den Schicksalsanalytiker Leopold Szondi an. 1955 emigrierte sie nach England und wurde Mitglied der British Psychoanalytical Society. Als in London niedergelassene Kinderanalytikerin und Sprachtherapeutin interessierte sie sich besonders für sprachtheoretische Probleme, über die sie mehrere Aufsätze publizierte. Den Schwerpunkt bildete ihr Konzept der Verbalisierung, wobei sie sich auf Sigmund Freuds Unterscheidung zwischen Sach- und Wortvorstellungen berief sowie an psycholinguistische Annahmen anknüpfte. So zeigte sie zum Beispiel in ihrer Studie Die Verbalisierung in der psychoanalytischen Deutungsarbeit, dass sowohl die Syntax als auch die Affekte aus der infantilen Beziehung zum Primärobjekt stammen. Aus diesem Grund könnten abgespaltene Affekte durch Verbalisierung bewusst gemacht werden.
Charlotte Balkányi starb im Alter von neunundsiebzig Jahren an Magenkrebs. (Artikelanfang)
Die ungarische Psychologin und Psychoanalytikerin Ágnes Binét wurde in eine jüdische Familie in Budapest geboren. Sie studierte Psychologie bei Jean Piaget in Genf und schloss ihr Studium 1945 an der Péter-Pázmány-Universität in Budapest ab. Nachdem sie von 1945 bis 1948 noch ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert hatte, arbeitete sie (wie Livia Nemes) am Zentralinstitut für Pädagogische Psychologie [Országos Neveléstudományi Intézet], das bis zu seiner Schließung 1950 von Ferenc Mérei, einem Schüler Leopold Szondis, geleitet wurde. Hier lernte sie den Mathematiker Tamás Varga (1919-1987) kennen, den sie 1950 heiratete. Aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder hervor.
Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei 1949 wurden Psychologie und Psychoanalyse in Ungarn als bürgerliche Ideologien bekämpft. Die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung [Magyarországi Pszichoanalitikai Egyesület (MPE)] musste sich auflösen, ihre Mitglieder arbeiteten jedoch in kleinem Kreis um Imre Hermann privat weiter. Bei Imre Hermann erhielt auch Ágnes Binét während dieser Zeit ihre psychoanalytische Ausbildung.
In den 1960er Jahren lehrte Ágnes Binét Kinderpsychologie am Psychologischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA). Ab 1969 arbeitete sie in der von Júlia György nach angelsächsischem Vorbild in Budapest gegründeten Kinderpsychologischen Poliklinik [Gyermekpszichológiai Rendelő], bis sie 1980 in den Ruhestand ging. Nach ihrer Pensionierung war sie bis an ihr Lebensende als Psychoanalytikerin tätig. Sie war Lehranalytikerin und Mitglied der Ausbildungskommission der MPE, die 1983 als provisorische Gesellschaft der International Psychoanalytical Association (IPA) anerkannt wurde.
Besonders geprägt wurde Ágnes Binét durch Imre Hermanns Werk. In ihrer Studie Comportement d'attachement ou instinct de de cramponnement? (1977) stellte sie Hermanns Konzeption von den Ursprüngen der Mutter-Kind-Beziehung vor und verglich seine Theorie des Anklammerungstriebs mit der Bindungstheorie von John Bowlby. (Artikelanfang)
Aranka Böhm wurde in Ipolyság (damals österreich-Ungarn) geboren, als Tochter des jüdischen Kaufmanns Ignác Böhm und seiner Frau Hermina Mangold. 1914 heiratete sie den Arzt Tivadar Kertész (1889-1979), der später der Ehemann von Lillian Rotter wurde. Aus dieser Ehe ging ein Sohn, Tamás Kertész, hervor. Aranka Böhm begann 1913 ein psychoanalytisch orientiertes Medizinstudium an der königlich-ungarischen Universität in Budapest, brach es aber nach der ersten Prüfung 1918 ab. 1920 trennte sie sich von Kertész und heiratete den bekannten ungarischen Schriftsteller Frigyes Karinthy (1887-1938). 1921 wurde ihr Sohn Ferenc Karinthy geboren, der ebenfalls Schriftsteller wurde. Aranka Böhm war eine gefeierte, von Männern umworbene Schönheit, zu ihren Liebhabern gehörte auch der ungarische Schriftsteller Tibor Déry. Ihre dramatische und unglückliche Ehe mit Karinthy endete, als dieser 1938 an einem Gehirnschlag starb.
1930 setzte Aranka Böhm ihr Medizinstudium fort und promovierte 1932 zum Dr. med. Ihre psychiatrische Facharztausbildung erhielt sie an der Budapester Klinik für Psychiatrie und Neurologie. Danach war sie in der Nervenheilanstalt in der Balassa Utcai tätig und führte private Behandlungen durch. Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt Aranka Böhm in Budapest und Wien, wo sie 1936 an der von Otto Pötzl geleiteten Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik arbeitete. Es ist unklar, ob und bei wem sie ihre Analyse abgeschlossen hat.
Als die Deutschen 1944 in Ungarn einmarschierten, arbeitete Aranka Böhm in einem psychiatrischen Krankenhaus in Zalaegerszeg. Im Sommer 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. (Artikelanfang)
Margit Dubovitz (auch: Dubowitz), eine der ersten ungarischen Kinderanalytikerinnen, wurde als Tochter tschechisch-jüdischer Einwanderer in Budapest geboren. Ihr Vater Ede Grünbaum ließ sich 1881 taufen und änderte seinen Namen in Garami. Er führte bis zu seinem Konkurs ein Kaffeehaus in Budapest, und als er 1892 starb, hinterließ er seine Frau und vier Kinder in Armut. Ihr älterer Bruder Ernö Garami war ein bekannter ungarischer Sozialdemokrat.
Margit Garami absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete bis zu ihrer Heirat in einem Büro. 1909 heiratete sie den Chemieingenieur Hugo Dubovitz, mit dem sie zwei Söhne hatte. Nach dem Tod ihres achtjährigen Sohnes Imre 1918 zerbrach ihre Ehe. Margit Dubovitz begann eine Liebesbeziehung mit Anton von Freund, einem Patienten Sigmund Freuds und Mäzen der psychoanalytischen Bewegung. Im Herbst 1918 begab sie sich zu Sándor Ferenczi in die Analyse, von dem sie schon als Mädchen mit Hypnose behandelt worden war. Hugo Dubovitz ließ sich ebenfalls von Ferenczi analysieren. Von 1919 bis 1920 setzte Margit Dubovitz ihre Analyse bei Sigmund Freud in Wien fort.
1921 schrieb sie sich in der Medizinischen Fakultät der Elisabeth-Universität in Pécs ein, wo sie 1927 graduierte. 1929 wurde sie ordentliches Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)] und referierte dort regelmäßig über ihre Arbeit. 1930 wurde ihr von Ferenczi die Leitung des psychoanalytischen Ambulatoriums für Kinder in Budapest unter dem Dach der Ungarischen Kinderschutzliga anvertraut. Nach dessen Schließung leitete sie ab 1931 die Erziehungsberatung in der psychoanalytischen Poliklinik der MPE.
Von 1935 an hielt Margit Dubovitz regelmäßig ihr kinderanalytisches Seminar am Budapester Lehrinstitut ab. 1936 besuchte sie zusammen mit Kata Lévy das kinderanalytische Seminar von Anna Freud in Wien. Diese hielt in ihrem Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen fest, sie verdanke Margit Dubovitz den Hinweis, dass das Nachgrübeln der Jugendlichen über den Sinn des Lebens und Sterbens eine Spiegelung der Arbeit der Destruktion im eigenen Innern bedeutet.
Margit Dubovitz überlebte den faschistischen Terror in Ungarn und arbeitete in den Nachkriegsjahren in Kindergärten und mit Waisenkindern. Ab 1949 war sie beim Institut für Nationale Sozialversicherung tätig. (Artikelanfang)
Jóba Ilona Felszeghy wurde in Nyíregyháza in Nordostungarn geboren. Sie erhielt ihre Ausbildung bei Sándor Ferenczi, Michael Balint und Imre Hermann und spezialisierte sich als Kinderpsychoanalytikerin. Ab 1930 arbeitete sie in dem psychoanalytischen Ambulatorium für Kinder in Budapest, das von Margit Dubovitz geleitet wurde. Im gleichen Jahr trug sie als Gast der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)] gemeinsam mit Margit Dubovitz Fallberichte aus dem Kinderambulatorium vor. 1938 referierte sie über die Analyse eines sechsjährigen Mädchens.
Ilona Felszeghy war mit dem Verwaltungsjuristen Béla Felszeghy (1882-1951) verheiratet, der von 1919 bis 1927 Mitglied der MPE war. Den Krieg und die deutsche Besetzung überlebte sie in Budapest, wo es ihr 1945 gelang, aus den Trümmern von Ferenczis Haus in Buda dessen Tagebuch und andere Manuskripte zu retten und an Michael Balint in London zu senden.
1946 wurde sie als außerordentliches (und wahrscheinlich einziges nichtjüdisches weibliches) Mitglied in die MPE aufgenommen. Ihre Kontrollanalytikerin war Kata Lévy. Sie hielt Einführungsvorlesungen für Pädagogen und beteiligte sich an der Postgraduierten-Ausbildung von Grund- und Sekundarschullehrern. Nach der Auflösung der Ungarischen Vereinigung im Jahr 1949 setzte Ilona Felszeghy trotz der Ächtung der Psychoanalyse ihre psychoanalytische Arbeit auch in den 1950er Jahren fort. Ab Mitte der 1960er Jahre reiste sie häufig nach London, um dort ihre emigrierten ungarischen Kolleg:innen zu treffen. Auf dem 25. Internationalen Psychoanalytischen Kongress 1967 in Kopenhagen wurde sie zum Direktmitglied der IPA ernannt. (Artikelanfang)
Edith Gyömröi wurde in Budapest geboren als eine von drei Töchtern des Hofrats Márk Gelb und seiner Frau Ilona Pfeifer. Ihr Vater, ein wohlhabender Möbelfabrikant, nahm 1899 im Zuge der Magyarisierung den Namen András Gyömröi an; die Familie konvertierte später vom jüdischen Glauben zum Katholizismus. Durch ihren Onkel István Hollós, der 1913 zu den Gründern der Psychoanalytischen Vereinigung in Budapest gehörte, kam Edith Gyömröi bereits früh mit der Psychoanalyse in Berührung.
Von 1911 bis 1914 besuchte sie eine Fachschule für Kunstgewerbe, um Innenarchitektin zu werden, heiratete dann aber den Chemie-Ingenieur Ervin Rényi (1889–1953) und zog mit ihm nach Wien. Die Ehe wurde 1918, kurz nach der Geburt ihres Sohnes Gábor, wieder geschieden, und Edith Gyömröi kehrte in ihre Heimatstadt zurück. In Budapest schloss sie sich linken Intellektuellen- und Künstlerkreisen an und war Mitarbeiterin der avantgardistischen Zeitschrift Ma. Während der ungarischen Räterepublik war sie kurzfristig beim Volkskommissariat für Bildungswesen tätig.
Nach dem Scheitern der Revolution im Jahr 1919 emigrierte sie zunächst nach Wien, dann über Rumänien 1923 nach Berlin. 1923 heiratete sie den Journalisten László Glück (Pseudonym: László Tölgy) (1892-1938?), Redakteur der kommunistischen Zeitung Vörös Ujság, der ebenfalls aus Ungarn emigriert war und in der sowjetischen Handelsvertretung arbeitete. Ihre zweite Ehe dauerte bis Ende der 1920er Jahre. Zwischen 1924 und 1929 ging Edith Glück in Berlin verschiedenen Tätigkeiten nach, sie entwarf Kostüme für das Filmproduktionsstudio Neumann, übersetzte, fotografierte und arbeitete zeitweilig in der Redaktion der kommunistischen Zeitung Rote Hilfe.
In dieser Zeit begann sie bei Otto Fenichel eine Analyse, die 1929 als Lehranalyse weitergeführt wurde. Obwohl die führenden deutschen Psychoanalytiker Max Eitingon und Felix Boehm ihre Kandidatur wegen ihrer politischen Orientierung ablehnten, wurde sie schließlich zur Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut zugelassen. Wie Annie Reich, Edith Jacobssohn, Barbara Lantos, Käthe Misch und Siegfried Bernfeld gehörte Edith Gyömröi der Gruppe marxistischer Psychoanalytiker:innen um Otto Fenichel an. 1932 schloss sie ihre Ausbildung ab und wurde ein Jahr später außerordentliches Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft.
Die nationalsozialistische Machtübernahme im Jahr 1933 zwang Edith Gyömröi erneut zur Flucht, diesmal nach Prag, wo sie sich am Aufbau der Prager Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft beteiligte. 1934 kehrte sie nach Budapest zurück und wurde außerordentliches Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie veranstaltete u. a. Seminare über praktische Erziehungsfragen für Mütter und Pädagogen und hielt Vorträge über sexuelle Probleme in Kindheit und Ehe. 1935 übernahm sie die Behandlung des ungarischen Nationaldichters Attila József, dessen Zustand sich während ihrer Analyse verschlechterte. Er verliebte sich in sie, und als sie ihn zurückwies, drohte er ihr mit Gewalt. Als er schließlich Selbstmord beging, machten einige in Ungarn seine Analytikerin dafür verantwortlich.
Nach dem "Anschluss" Österreichs 1938 an das Deutsche Reich emigrierte Edith Gyömröi via Triest nach Ceylon, gemeinsam mit ihrem dritten Ehemann, dem leukämiekranken Journalisten László Újvári (1900-1940). Nach Újváris Tod heiratete sie 1941 Evelyn Charles (Lyn) Ludowyk (1906-1985), der Anglistikprofessor an der Universität Colombo war. Edith Ludowyk-Gyömröi studierte in Colombo Religionsgeschichte und promovierte 1944 über Miracle and Faith in Early Buddhism. Sie praktizierte als einzige Psychoanalytikerin auf Ceylon und war bis 1956 Lehr- und Kontrollanalytikerin der Indian Psychoanalytical Society in Kalkutta. Während dieser Zeit entstand ihre ethno-psychoanalytische Studie über Pubertätsriten der Mädchen.
1956 übersiedelte sie mit ihrem Mann nach London, wo sie bis in ihr achtzigstes Lebensjahr als Psychoanalytikerin praktizierte. Sie war Mitglied der British Psychoanalytical Society und Lehr- und Kontrollanalytikerin an Anna Freuds Hampstead Clinic. Zu ihren Lehranalysand:innen zählte u. a. auch Anne-Marie Sandler. Ihre bekannteste wissenschaftliche Arbeit ist wohl ihr Aufsatz The analysis of a young concentration camp victim (1963). Darin berichtete sie über den Fall einer Jüdin, die in einer Kindergruppe das KZ Auschwitz überlebt hatte und als Jugendliche unter Identitätsstörungen litt. Edith Gyömröi schrieb im Laufe ihres Lebens auch Gedichte, Erzählungen und Romane. (Artikelanfang)
Lilly Hajdu wurde im ungarischen Miskolc geboren und wuchs mit vier Geschwistern in einem assimilierten jüdischen Elternhaus auf. Ihr Vater Mihály Hajdu war kaufmännischer Angestellter. Als sie 1909 in Budapest ihr Studium begann, gehörte sie wie ihre ältere Schwester Margit zur ersten Ärztinnengeneration in Ungarn. Als Studentin verkehrte sie im linksintellektuellen Galilei-Kreis, den ihr Schwager Zsigmond Kende gegründet hatte und zu dessen Mitgliedern auch ihr späterer Ehemann, der jüdische Kinderarzt Miklós Gimes (1889-1944), zählte. Nach Beendigung ihres Medizinstudiums zu Beginn des Ersten Weltkriegs spezialisierte sie sich in der Psychiatrie und trat eine Stelle als Assistenzärztin an der Budapester Universitäts-Nervenklinik von Ernő Emil Moravcsik an. 1915 heirateten Lilly und Miklós Gimes, zwei Jahre später wurde ihr Sohn Miklós geboren, 1920 ihre Tochter Judit ("Juca").
Während der ungarischen Räterepublik 1919 erhielt Lilly Hajdu einen Posten im Gesundheitsministerium und setzte sich gemeinsam mit ihrem Mann für die Bekämpfung von Volkskrankheiten ein. Nach der Niederschlagung der Räterepublik und der Verabschiedung antijüdischer Gesetze durch die Regierung Horthy traten Lilly Hajdu-Gimes und ihr Mann in die Unitarische Kirche ein. 1921 übernahm sie die ärztliche Leitung des Budapester Frimm-Instituts, einer privaten Einrichtung für geistig behinderte Kinder. 1927 eröffnete sie ihr eigenes Heilpädagogisches Institut und Kindererholungsheim Dr. G. Hajdu, wo sie bis 1933 die Arbeit mit geistig behinderten Kindern fortsetzte.
In den 1920er Jahren ließ Lilly Hajdu sich zur Psychoanalytikerin ausbilden und machte eine Lehranalyse bei Vilma Kovács. Ihr theoretisch-technischer Lehrer war Sándor Ferenczi. 1933 wurde sie Mitglied und 1938 Lehranalytikerin der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie führte in Budapest eine psychoanalytische Privatpraxis und lehrte am Psychoanalytischen Institut, bis der zunehmende Antisemitismus Ende der 1930er Jahre die Psychoanalytiker zwang, ihre Seminare nur noch in Privatwohnungen abzuhalten. Die deutsche Besetzung Budapests und der Terror der faschistischen Pfeilkreuzler kosteten Miklós Gimes das Leben. Er wurde 1944 deportiert und starb im Konzentrationslager Leitmeritz an Typhus. Lilly Hajdu überlebte dank eines Zufalls: Ein an den Erschießungskommandos beteiligter Pfeilkreuzler entpuppte sich als ehemaliger Patient und ließ sie laufen.
Nach dem Krieg schloss sich Lilly Hajdu wie ihre Kinder der regierenden Kommunistischen Partei an und wurde 1947 vom Justizministerium zur Beraterin der Landeskrankenkasse ernannt. Sie beteiligte sich am Wiederaufbau der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, deren Präsidentin sie ab 1947 war, bis sich die Vereinigung 1949 wieder auflösen musste. Unter Rákosy galt die Psychoanalyse als staatsgefährdende Ideologie und durfte nicht mehr angewendet werden.
Lilly Hajdu bildete sich in Neurologie weiter und begann Anfang der 1950er Jahre eine neue Karriere am Landesinstitut für Neurologie und Psychiatrie (Lipótmezö) in Budapest, wo sie Chefärztin, Vizedirektorin und von 1954 bis 1957 Direktorin war. Gleichzeitig übte sie die Landesoberaufsicht für das Psychiatriewesen aus und setzte sich gegen Zwangsjacken und Schocktherapien und für die Behandlung mit Medikamenten und Arbeitstherapie ein. Sie vertrat die Ansicht, dass die von den Kommunisten favorisierte Pawlowsche Reflextheorie mit der Psychoanalyse vereinbar sei.
In der Folge des gescheiterten Ungarnaufstands 1956 wurde Lilly Hajdus Sohn, der Journalist Miklós Gimes jun., im Schauprozess gegen Imre Nagy und seine Anhänger angeklagt und 1958 hingerichtet. Sie selbst wurde 1957 zwangspensioniert, eine Ausreise zu ihrer Tochter in die Schweiz verweigerte man ihr. 1960 setzte Lilly Hajdu mit einer Überdosis Medikamente ihrem Leben ein Ende.
Lilly Hajdu plädierte bereits früh für die Ergänzung der Einzelanalyse durch eine Familien- und Gruppentherapie. Einen Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit bildete die Ätiologie und Heilung von Schizophrenie. Sie war eine der ersten, die einen Ursachenzusammenhang zwischen der psychodynamischen Konstellation einer Familie und der Entstehung von Schizophrenie erkannte. In ihrem 1940 erschienenen Aufsatz Contributions to the etiology of schizophrenia stellte sie die These auf, dass eine der Ursachen von Schizophrenie in traumatischen Hungererfahrungen im Säuglingsalter zu suchen sei. Sie hob außerdem zwei wichtige Entstehungsfaktoren für die Schizophrenie hervor: einen kalten sadistischen Charakter der Mutter und passive Indifferenz des Vaters.
Nach Hajdus Ansicht kann die Schizophrenie durch Psychoanalyse geheilt werden, sofern man dabei die Erkenntnisse Sándor Ferenczis berücksichtigt. In einem ihrer Aufsätze (1933) beschrieb Lilly Hajdu die wichtigsten Komponenten der psychoanalytischen Behandlung von Schizophrenen, ausgehend von Anna Freuds Konzeption einer Analogie zwischen psychotischem Agieren und Kinderspiel sowie von Ferenczis Gedanken über die Periode der magischen Allmacht von Gebärden. (Artikelanfang)
Fanny Hann-Kende wurde in Budapest geboren als Tochter von Arnold Hann, einem hochrangigen Finanzbeamten, und Lujza Gold. Wie Lilly Hajdu gehörte sie zu den ersten Frauen, die in Ungarn Medizin studierten. Sie promovierte 1914 an der Königlichen Ungarischen Universität in Budapest und lehrte dort von 1914 bis 1920 das Fach Pathologie. Gleichzeitig arbeitete sie als leitende Pathologin an mehreren Budapester Kliniken. Eine 1918 von ihr aufgestellte Diagnose wurde in Fachkreisen als "Hann-Syndrom" bekannt. Nach dem Scheitern der ungarischen Räterepublik 1919 wurde sie als Linke vom Professorenkollegium der Universität ausgeschlossen. 1920 heiratete sie Béla Kende (1887-?), einen angesehenen Budapester Arzt jüdischer Herkunft, von dem ihre Tochter Mária Lujza stammte.
Ihre psychoanalytische und psychiatrische Ausbildung erhielt Fanny Hann-Kende zwischen 1927 und 1929 in Wien. Sie machte eine Analyse bei Helene Deutsch und arbeitete an der Wagner-Jauregg-Klinik für Psychiatrie. Zurück in Budapest wurde sie 1930 in die von Sándor Ferenczi geführte Ungarische Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Zwischen 1932 und 1938 arbeitete sie in der psychoanalytischen Poliklinik, lehrte am Budapester Psychoanalytischen Institut und war dort ab 1935 als Lehranalytikerin tätig. Während dieser Zeit entwickelte sie eine Methode zur Verkürzung der psychoanalytischen Therapie, die sie 1936 in ihrem Vortrag "Ein Versuch der Zeitersparnis in der psychoanalytischen Therapie" auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Marienbad vorstellte. Sie war 1933 eine der ersten, die über die nützliche Funktion der Gegenübertragung in der analytischen Technik schrieb.
1932 hielt Hann-Kende am Budapester Institut einen Vortrag zur Entwicklungslehre der weiblichen Sexualität, ein Jahr später veröffentlichte sie ihren Artikel Über Klitorisonanie und Penisneid. Darin stellte sie Sigmund Freuds Thesen über die Entwicklung der "normalen Weiblichkeit" in ähnlicher Weise in Frage wie Karen Horney in ihrem Aufsatz Die Verleugnung der Vagina (1933). Anhand von Beispielen aus außereuropäischen Kulturen zeigte sie, dass es Gesellschaften gibt, in denen der Penisneid unbekannt, die Klitorisonanie dagegen verbreitet ist. Diese könne nicht, wie Freud annahm, auf ein zu überwindendes Entwicklungsstadium beschränkt werden, da sie in den angeführten Beispielen gleichzeitig mit der vaginalen Masturbation ausgeübt werde.
Anfang 1938 erhielt Fanny Hann-Kende eine Einladung als Gastdozentin der New York Psychoanalytic Society and Institute (NYPSI) und emigrierte in die USA. 1943 wurde sie Mitglied und 1948 Lehranalytikerin der NYPSI. Von 1948 an bis zu ihrem Tod war sie an der Columbia-Universität in der psychiatrischen Abteilung sowie in der Psychoanalytic Clinic for Training and Research tätig. Zu ihren Lehranalysandinnen zählte damals Ruth Easser.
Fanny Hann-Kende starb kurz vor ihrem 61. Geburtstag an Darmkrebs. (Artikelanfang)
Die Psychologin und Psychoanalytikerin Alice Hermann wurde in Abafalva in Ungarn geboren als Tochter des Landwirts Béla Cziner und seiner Frau Stefánia Singer. 1915 begann sie ihr Studium der Psychologie, Philosophie und Ästhetik an der Universität Budapest, wo sie ab 1919 als Praktikantin im Laboratorium für Experimentalpsychologie von Géza Révész arbeitete und unter seiner Leitung zum Dr. phil. promovierte. In ihrer Dissertation, die 1922 teilweise unter dem Titel Kísérleti vizsgálatok a megértés problémáihoz [Experimentelle Untersuchungen zum Problem des Verstehens (1923)] veröffentlicht wurde, untersuchte sie das Erlebnis des Wortverständnisses mithilfe der Introspektionsmethode der Würzburger Schule. 1922 heiratete sie Révész' Assistenten Imre Hermann (1889-1984), der einer der führenden Köpfe der Budapester psychoanalytischen Schule wurde und einen psychoanalytisch-denkpsychologischen Ansatz vertrat. Aus ihrer Ehe gingen drei Töchter hervor.
In den 1920er Jahren beteiligte sich Alice Hermann an den psychologischen Experimenten ihres Mannes z. B. zu Formkriterien bei der Auswahl von Gegenständen. Außerdem war sie Leiterin des Berufsberatungslabors für Lehrlinge in Budapest. Sie interessierte sich für Werbepsychologie und veröffentlichte 1927 mit A reklám lélektanaeines eines der ersten ungarischen Bücher über dieses Thema. 1929 erwarb sie das Lehrerinnendiplom und ging danach nach Berlin, um dort eine psychoanalytische Ausbildung zu machen. Von Mitte der 1930er Jahre bis 1945 war sie als Psychoanalytikerin tätig, gab dann jedoch ihre therapeutische Praxis auf. In ihrer psychoanalytischen Arbeit Die Grundlagen der zeichnerischen Begabung bei Marie Bashkirtseff analysierte Alice Hermann-Cziner die Bedeutung der Handerotik und des Bewusstseins der eigenen Schönheit für die Entwicklung der Künstlerin.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie wie ihr Mann in die Kommunistische Partei ein und widmete sich in den nächsten dreißig Jahren der Kindergartenerziehung. Alice Hermann beteiligte sich am Entwurf der kinderpsychologischen und pädagogischen Richtlinien der kommunistischen Rákosi-Regierung, war Beraterin des ungarischen Gewerkschaftsbundes bei Erziehungsfragen, Oberinspektorin der Kindergärten des Demokratischen Verbandes der Ungarischen Frauen (MNDSZ) und von 1949 bis 1952 Inspektorin bzw. Hauptreferentin für Kindergärten beim Rat der Hauptstadt. Sie unterrichtete von 1952 bis 1956 an einer Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen und war von 1957 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1962 Hauptreferentin in der Abteilung für pädagogische Ausbildung im Ministerium für Bildung. Ihr 1946 erschienenes Hauptwerk Emberré nevelés [Erziehung zum Menschen] beruhte auf einer Reihe von erziehungspsychologischen Vorträgen. (Artikelanfang)
Erzsébet Kardos zählte in den 1930er und 1940er Jahren zu den vielversprechendsten Talenten der Budapester Schule der Psychoanalyse. Sie wurde im westungarischen Győr in eine assimilierte jüdische Kaufmannsfamilie geboren als älteste Tochter von Jenő Kardos [Jakab Kohn] und Teréz Eislitzer. Wegen des Budapester Numerus Clausus für Frauen und Juden begann sie ihr Medizinstudium 1921 an der Universität Würzburg und setzte es dann von 1924 bis 1926 an der Elisabeth-Universität in Pécs fort, wo sie 1927 graduierte.
Anschließend arbeitete sie zwei Jahre in Düsseldorf als Assistenzärztin an Arthur Schlossmanns Kinderklinik der Städtischen Krankenanstalt sowie als Chefärztin im Säuglingsheim Auguste-Victoria-Haus. 1929 folgte sie einer Einladung nach Kolumbien und war dort als Kinderärztin in der Privatklinik des Münchner Bakteriologen Maxim Bauer in Barranquilla tätig. 1932 zurück in Europa war sie zunächst am Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus in Berlin beschäftigt, bevor sie ab 1933 zwei Jahre lang mit Lipót (Leopold) Szondi, dem Begründer der Schicksalsanalyse, zusammenarbeitete. In Szondis Heilpädagogischem Laboratorium für Psychopathologie und Psychotherapie in Budapest führte sie u. a. Untersuchungen jugendlicher Straftäter und Entwicklungstherapien mit geistig behinderten Kindern durch.
1934 begann Erzsébet Kardos eine Lehranalyse bei Vilma Kovács und eröffnete nach zwei Jahren neben ihrer pädiatrischen eine psychoanalytische Praxis. 1939 wurde sie Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, ihr Schwerpunkt war die Kinderanalyse. Ein Jahr später heiratete sie den ungarischen Kinderarzt und Psychoanalytiker Endre (Andrew) Petö (1904-1985). Gemeinsam unternahmen sie eine metapsychologische Untersuchung des Spiels und gelangten zu der Erkenntnis, dass im Kinderspiel sämtliche Merkmale des Primärprozesses zu beobachten seien. Kardos' Ergebnisse zu diesem Thema wurden erst 1956 in dem Aufsatz Contributions to the theory of play veröffentlicht.
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn 1944 lebten Erzsébet Kardos und Endre Petö immer noch in Budapest, obwohl sie bereits 1939 Visa für Australien erhalten hatten. Sie versteckten sich mit gefälschten Papieren an getrennten Orten, bis jemand Erzsébet Kardos denunzierte. Sie wurde kurz vor der Befreiung Budapests im Januar 1945 von einem Todeskommando der Pfeilkreuzler ermordet. Endre Petö emigrierte 1949 nach Australien und anschließend in die USA. (Artikelanfang)
Mária (Marie) Takács wurde in Budapest in eine gebildete jüdische Familie geboren. Ihre Mutter Anna Kirz war Lehrerin, ihr Vater Mór Takács Jurist. Sie studierte Geschichte an der Universität Budapest, promovierte dort 1909 über die soziale Lage in Ungarn zwischen 1830 und 1847 und erwarb ein Lehrdiplom. Ebenfalls im Jahr 1909 heiratete sie ihren Cousin, den Rechtsanwalt Andor Kircz (1882-1915). Wegen dessen schlechter Gesundheit verbrachte das Paar einige Jahre in Ägypten, wo 1911 in Kairo ihr Sohn Gyula József Kircz zur Welt kam.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs musste die Familie nach Budapest zurückkehren, wo Andor Kircz kurz darauf an Tuberkulose starb. Mária Kircz-Takács, seit 1916 Lehrerin an einem Mädchengymnasium in Budapest, engagierte sich 1919 in der Räterepublik und beteiligte sich im Volkskommissariat für Bildung am Entwurf eines neuen Lehrplans zum Geschichtsunterricht. Unter Horthy wurde sie 1920 wegen ihrer Aktivität in der Räterepublik angeklagt und verlor ihren Arbeitsplatz. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit Übersetzungen und privatem Sprachunterricht und verfasste Rezensionen für die Zeitschrift Századunk. 1925 trat sie eine Stelle als Bibliothekarin bei der Budapester Industrie- und Handelskammer an, wo sie bis 1946 tätig war.
1923 hielt Marie Takács in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikai Egyesület (MPE)] einen Vortrag über den ungarischen Dichter János Arany und wurde im gleichen Jahr als außerordentliches Mitglied aufgenommen, das sie bis 1946 blieb. Neben historischen und literarischen Texten übersetzte sie auch Sigmund Freuds Psychopathologie des Alltagslebens [A mindennapi élet pszichopathologiája] und Erwin Wexbergs individualpsychologische Arbeit Das nervöse Kind [Az ideges gyermek] ins Ungarische.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschloss Mária Kircz-Takács, von einem Besuch bei ihrem Sohn Gyula in Holland nicht mehr nach Ungarn zurückzukehren. Sie fand 1947 eine Beschäftigung als freie Mitarbeiterin am Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, wo sie sich um die Klassifikation der institutseigenen Buchsammlungen kümmerte, bis sie 1966 in den Ruhestand trat. (Artikelanfang)
Die ungarische Psychologin und Psychoanalytikerin Sára Klaniczay erwarb einen Universitätsabschluss in Mathematik und unterrichtete anschließend Mathematik, Physik und Chemie in der Oberstufe. Während ihrer Arbeit als Lehrerin begann sie sich für Psychologie zu interessieren. Sie absolvierte ein Psychologiestudium und promovierte 1972 über Stottern in der frühen Kindheit. Wie Ágnes Binét, Lívia Nemes und Teréz Virág war sie Mitarbeiterin der 1968 von Júlia György gegründeten Budapester Kinderpsychologischen Poliklinik (Fővárosi Gyermekpszichológiai Szakrendelő).
Sára Klaniczay machte ihre Lehranalyse bei Imre Hermann und spezialisierte sich als Kinderanalytikerin bei Lillian Rotter. Sie war Lehranalytikerin und Supervisorin der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)] und seit 1983 Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Außerdem lehrte sie an der Hochschule für Sonderpädagogik (Gyógypedagógiai Foiskolá) und war Dozentin für Kinderpsychotherapie im Postgraduiertenstudium an der Universität von Debrecen.
Den Schwerpunkt Sára Klaniczays bildete die Untersuchung des Stotterns, seine theoretische Einordnung und psychotherapeutische Behandlung, wobei sie sich wesentlich auf Imre Hermanns Anklammerungstheorie stützte. Nach ihrer Beobachtung ging dem Auftreten des Stotterns bei ungefähr der Hälfte der von ihr behandelten Kinder eine längere Trennung von der Mutter voraus. Sie gelangte zu der Auffassung, dass ein wichtiger Faktor bei der Entstehung des Stotterns die Frustration des Anklammerungswunsches des Kindes an die Mutter ist.
2004 wurde Sára Klaniczay von der MPE die Ferenczi-Gedenkmedaille für ihre Verdienste auf dem Gebiet der Kinderpsychotherapie und des Stotterns in der Kindheit verliehen. (Artikelanfang)
Foto: © Boston Psycho-
analytic Society and Institute
Vilma Kovács wurde 1879* in Szeged in Ungarn geboren. Sie war die jüngste von drei Töchtern einer von spanischen Juden abstammenden Familie, die nach dem frühen Tod des Vaters in Armut lebte. Als sie fünfzehn Jahre alt war, wurde sie gegen ihren Willen mit ihrem 22 Jahre älteren Cousin Zsigmond Székely verheiratet und war als Neunzehnjährige bereits Mutter von drei Kindern, Alice, Olga und Ferencz. Alice Székely-Kovács wurde Psychoanalytikerin wie ihre Mutter, Olga Székely-Kovács (Dormandi) wurde Künstlerin und u. a. durch ihre Karikaturen von Psychoanalytikern bekannt. Olga Dormandis Tochter Judith Dupont setzte die Genealogie der Psychoanalytikerinnen in Frankreich fort.
Geschwächt durch drei Geburten, erkrankte Vilma Székely an Tuberkulose und lernte während eines Sanatoriumaufenthalts den gleichaltrigen Architekten Frigyes (Frédéric) Kovács kennen. Sie heiratete ihn nach einer schwierigen Scheidung von ihrem ersten Mann, der ihr den Umgang mit ihren Kindern verbot. Diese konnten erst nach einer Trennung von mehreren Jahren zu ihr ziehen und wurden später von Frédéric Kovács adoptiert.
Um 1921 konsultierte Vilma Kovács wegen einer Agoraphobie den ungarischen Psychoanalytiker Sándor Ferenczi, der bald ihre Begabung erkannte und ihre Behandlung als Lehranalyse fortsetzte. Sie wurde 1924 Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung und übernahm ein Jahr später die Leitung der Ausbildungskommission. Vilma Kovács war eine brillante Schülerin Ferenczis, eine hochangesehene Lehranalytikerin und eine der ersten Theoretiker:innen des psychoanalytischen Ausbildungssystems. Das Wohnhaus der Kovács' in der Budapester Mészáros-Gasse wurde zum Sitz der Ungarischen Vereinigung und der psychoanalytischen Poliklinik.
1923 übersetzte Vilma Kovács Sigmund Freuds Aufsatz Jenseits des Lustprinzips ins Ungarische. Ihre erste selbständige psychoanalytische Arbeit war die Analyse eines Falles von "Tic convulsif". Als ihr wichtigster Beitrag zur psychoanalytischen Theorie gilt ihr Aufsatz Kiképzö analízis és kontroll analízis (1933) [Lehranalyse und Kontrollanalyse], in dem sie das von Max Eitingon eingeführte Baukastensystem der psychoanalytischen Ausbildung in Frage stellte. Ihr vieldiskutierter, Jacques Lacans Auffassung antizipierender Vorschlag war, dass nicht ein zweiter Kontrollanalytiker die Supervision der ersten Behandlungsfälle eines Kandidaten übernehmen sollte, sondern dessen eigener Lehranalytiker, denn dieser könnte am besten die Ursachen der Gegenübertragung des Anfängers beurteilen.
Mit dem Erstarken des Faschismus in Ungarn begann der Exodus der ungarischen Psychoanalytiker:innen. Nachdem ihre Tochter Alice Balint drei Monate nach ihrer Flucht nach England gestorben war, folgte Vilma Kovács 1940 einer Einladung von Marie Bonaparte nach Paris, kehrte jedoch noch im gleichen Jahr nach Budapest zurück. Körperlich und seelisch mitgenommen, erkrankte sie an einem Nierenleiden und starb im Alter von 56 Jahren. (Artikelanfang)
Katherina "Katá" (Katalin) Lévy wurde in Budapest als jüngstes von vier Kindern geboren. Ihr Vater Vilmos von Freund-Tószeghy war ein reicher Brauereibesitzer jüdischer Herkunft. Ihr älterer Bruder Anton (Antal) von Freund-Tószeghy war ein Patient und Freund von Sigmund Freud und einer der wichtigsten Mäzene der psychoanalytischen Bewegung. Kata von Freund war ausgebildete Sonderschullehrerin, übte diesen Beruf aber nicht aus, sondern widmete sich der Bildhauerei.
1908 heiratete sie den Internisten Lajos Lévy (1875-1961), der 1913 zu den Gründern der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung gehörte, selbst aber nie als Analytiker praktizierte. Ihr Sohn Willy Lévy (i. e. der Bildhauer Peter Lambda), der 1911 geboren wurde, lebte später als Jugendlicher in der Familie des Wiener Analytikers August Aichhorn, mit dem die Lévys eng befreundet waren.
Während eines Budapester Ferienaufenthalts Sigmund Freuds begann Kata Lévy eine Analyse bei ihm, die 1920 in Wien weitergeführt wurde. Sie setzte ihre psychoanalytische Ausbildung dann bei Sándor Ferenczi in Budapest fort und wurde 1928 ordentliches Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Kata Lévy interessierte sich besonders für Pädagogik und wählte die Kinderanalyse als ihren Schwerpunkt. 1936 besuchte sie das Wiener kinderpsychologische Seminar Anna Freuds, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verband.
Während der 1930er Jahre veranstaltete Kata Lévy in Budapest psychoanalytische Seminare für Lehrer:innen und war als Erziehungsberaterin an einer Mädchenschule tätig. Die Lévys überlebten Krieg und Faschismus in Budapest, verloren jedoch ihr gesamtes Vermögen. Kata Lévy arbeitete als Erziehungsberaterin und privat als Psychoanalytikerin im kommunistischen Ungarn, bis sie 1954 mit ihrem Mann nach London emigrieren konnte. Kata Lévy wurde Mitglied der British Psychoanalytical Society und Mitarbeiterin an Anna Freuds Hampstead Child Therapy Clinic. Sie beteiligte sich an einem von Dorothy Burlingham organisierten Forschungsprojekt zur Simultananalyse von Mutter und Kind und veröffentlichte 1960 einen Aufsatz über die gemeinsame Analyse eines Mädchens, das unter Schulphobie litt, und ihrer überfürsorglichen Mutter. (Artikelanfang)
Lucy (Lukrécia) Liebermann wurde als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Ihr Vater Győző Ágost Liebermann war Transportunternehmer. Sie absolvierte ein Studium an der Hochschule für Heilpädagogik in Budapest, das sie 1926 mit dem Diplom abschloss. Zur gleichen Zeit besuchte sie an der Musikakademie einen Kompositionkurs und studierte Bewegungskunst bei Olga Szentpál. Sie begann ihre heilkundliche Tätigkeit als Bewegungstherapeutin in der neurologischen Abteilung des Jüdischen Krankenhauses in Pest. Von 1928 bis 1937 arbeitete sie im Heilpädagogischen Laboratorium für Psychopathologie und Psychotherapie von Leopold Szondi, dem Begründer der Schicksalsanalyse, und im Staatlichen Institut für Sprachstörungen. 1928 beteiligte sie sich an der Gründung der Ungarischen Psychologischen Gesellschaft, wo sie verschiedene leitende Funktionen innehatte.
Von 1930 bis 1932 machte Lucy Liebermann eine Lehranalyse bei Michael Balint in Budapest, der anschließend auch ihr Kontrollanalytiker war. 1937 wurde sie außerordentliches Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie spezialisierte sich als Kinderanalytikerin und publizierte über Sprach-, Bewegungs- und Persönlichkeitsstörungen von Kindern und Jugendlichen, außerdem über Selbstmord im Kindesalter sowie über Techniken der Gruppentherapie. In ihrem Aufsatz Case history of a borderline personality stellte sie den Borderline-Fall eines psychotischen Stotterers vor und erklärte die Psychodynamik des Stotterns in Anlehnung an Melanie Klein mit einer Fixierung auf das Entwicklungsstadium der schizoiden Position. In den 1930er und 1940er Jahren stand sie ungarischen Avantgardebewegungen nahe wie z. B. der Europäischen Schule, einer Gruppe von Künstlern, die sich für die Beziehung zwischen Kunst und Psychoanalyse interessierten.
1937 richtete Lucy Liebermann an der Ersten Kinderklinik der Medizinischen Fakultät der Peter-Pazmany-Universität in Budapest eine Erziehungsberatungsstelle ein, die sie zunächst als Angestellte der Klinik und von 1959 bis 1967 als Mitarbeiterin der Ungarischen Akademie der Wissenschaften leitete. Mehrere ihrer Arbeiten über Persönlichkeitsstörungen von Kindern verfasste sie gemeinsam mit Pál Gegesi Kiss, dem Leiter der Kinderklinik. Von 1945 bis 1948 lehrte sie außerdem Bewegungstherapie an der Hochschule für Heilpädagogik. Als die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung sich 1949 auflöste, blieb sie Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Lucy Pátzay Liebermann war vier Jahre mit dem Maler und Puppenspieler Zsigmond Cselényi Walleshausen (1887?-?) verheiratet, bevor sie 1924 den ungarischen Bildhauer Pál Pátzay (1896-1979) heiratete. 1945 trennte sie sich von Pátzay und heiratete den Bergbauingenieur Antal Petneházy (1895-1968). (Artikelanfang)
Magda (Magdolna) Ligeti wurde in Budapest geboren als Tochter von Antónia Singer und dem Journalisten Jenő Ligeti (Lusztig). Sie besuchte bis 1928 das Szegediner Árpád-házi Szent Erzsébet Mädchengymnasium und studierte dann Medizin an der Ferenc-József-Universität in Szeged, wo sie 1934 promovierte. Von 1935 bis 1943 arbeitete sie in der neurologischen Abteilung des Pester Jüdischen Gemeindekrankenhauses. Nach Kriegsende war sie als Fachärztin und Chefärztin in der Psychotherapieambulanz verschiedener Kliniken tätig. Einer ihrer Schwerpunkte war die Behandlung von Alkoholikern.
Obwohl psychoanalytisch orientiert, war Magda Ligeti kein Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie interessierte sich vor allem für die Kinderanalyse und setzte sich für die sexuelle Aufklärung von Kindern ein. Als 1946 ihr Buch zur Sexualerziehung, Gyermekeknek felnöttekröl [Für Kinder über Erwachsene], erschien, löste es einen Sturm der Entrüstung in Ungarn aus. Das Bildungsministerium ebenso wie der Schriftstellerverband und die katholische Sozialpolitikerin Margit Slachta forderten ein Verbot dieses "pornografischen" Buchs, was 1947 auch gerichtlich angeordnet wurde. Später wurde Ligeti als Pionierin der modernen Sexualwissenschaft in Ungarn gewürdigt.
Seit 1940 war Magda Ligeti mit dem Schauspieler Sándor Peti (geb. Kanitzer) (1898-1973) verheiratet. Gemeinsam mit ihm unterhielt sie enge Beziehungen zu literarischen und künstlerischen Kreisen in Budapest. Unter anderen zählte der ungarische Dichter Miklós Radnóti zu ihren Freunden, der 1944 von den Nazis ermordet wurde. Magda Ligeti, die nach dem Tod ihres Mannes 1973 bereits einen Selbstmordversuch unternommen hatte, starb schließlich vier Jahre später durch Suizid. (Artikelanfang)
Livia Nemes wurde in Budapest geboren, als jüngste Tochter von József Nemes und Irma Klein. Ihre Eltern waren jüdischer Herkunft und führten in Buda ein Handarbeitsgeschäft. Als Mädchen war sie bei ihrer Tante, der Nervenärztin Lilly Hajdu, in Behandlung, von der sie sehr beeindruckt war. Nach dem Besuch einer Gewerbezeichenschule absolvierte sie einen Montessori-Lehrgang, mit der Absicht, einen privaten Kindergarten zu eröffnen. 1941 begann sie eine Analyse bei Róbert Bak, die sie nach dessen Emigration in die USA bei István Székács-Schönberger fortsetzte. Von 1942 an nahm sie an Privatkursen des Psychologen Ferenc Mérei teil.
Die deutsche Besetzung und den Terror der faschistischen Pfeilkreuzler in Ungarn überlebte Livia Nemes mithilfe falscher Papiere. Nach dem Krieg studierte sie von 1945 bis 1948 an der Péter-Pázmány-Universität in Budapest Philosophie, Pädagogik und Psychologie und schloss mit einem Lehrerdiplom ab. Anschließend war sie Assistentin an der Budapester Pädagogischen Hochschule und Mitarbeiterin Méreis am Zentralinstitut für Pädagogische Psychologie (Országos Neveléstudományi Intézet). Als die Kommunistische Partei 1948/49 die Macht übernahm, wurde das Institut 1950 geschlossen. Méreis Lehre entsprach nicht den Grundsätzen der sozialistischen Erziehung. Livia Nemes schlug sich die nächsten sechs Jahre als Textilfacharbeiterin durch. Danach war sie von 1957 bis 1959 Dozentin am Staatlichen Pädagogischen Institut, wurde jedoch 1959 wie Mérei unter dem Vorwurf staatsfeindlicher Aktivitäten verhaftet und verbrachte drei Jahren im Gefängnis.
Erst 1963 konnte sie ihre psychoanalytische Ausbildung fortsetzen und absolvierte eine Lehranalyse bei Imre Hermann. Von 1962 bis 1967 war sie als klinische Psychologin am Korányi Tbc-Institut tätig und arbeitete anschließend von 1968 bis 1980 als psychoanalytische Psychotherapeutin in Júlia Györgys Budapester Kinderpsychologischen Poliklinik (Fővárosi Gyermekpszichológiai Szakrendelő). 1970 richtete sie am Budapester Institut für Kinderpsychologie ein Seminar für Entwicklungspsychologie ein, wo Psychiater und Psycholog:innen psychoanalytische Kinderpsychotherapie studieren konnten. 1971 wurde sie zum Dr. phil. promoviert.
1975 wurden Livia Nemes und vier andere ungarische Psychoanalytiker direkte Mitglieder der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV). 1981 konnte sich eine von Livia Nemes geleitete psychoanalytische Arbeitsgruppe in der Ungarischen Psychiatrischen Gesellschaft etablieren. 1983 wurde die ungarische Gruppe von der IPV als Provisorische Gesellschaft anerkannt, deren Präsidentin Livia Nemes acht Jahre lang war. 1989 wurde die Magyar Pszichoanalitikus Egyesület Vollmitglied der IPV.
Bekannt wurde Livia Nemes unter anderem durch ihre Beiträge zur Geschichte der ungarischen Psychoanalyse. Besonders am Herzen lag ihr das Werk Imre Hermanns, über den sie zahlreiche Aufsätze veröffentlichte. Darüber hinaus befasste sie sich mit der Beziehung zwischen Sigmund Freud und Sándor Ferenczi und schrieb über Themen der Entwicklungspsychologie sowie über die Rezeption der Psychoanalyse in der Belletristik. (Artikelanfang)
Lili (Lívia, Lilly) Perl wurde in eine jüdische Familie in Budapest geboren. Ihr Vater Zsigmond Balla (Blau) war Weinhändler in Budapest, ihre Mutter Berta Altschul stammte aus Prag. Lívia Balla heiratete 1917 den Bankangestellten Tibor Perl (1882-1945), der später stellvertretender Direktor der Allgemeinen Ungarischen Kreditbank wurde. 1919 wurde ihre Tochter Zsuzsa geboren.
Lili Perl erhielt 1928 von der Internationalen Vereinigung für Individualpsychologie ein Zertifikat, das ihr die Eignung zur Erziehung und Beratung schwererziehbarer Kinder bescheinigte. Zu Beginn der 1930er Jahre arbeitete sie als Erzieherin in einem von der Baronin Erzsébet Weiss in einer ihrer Villen eingerichteten und von Julia György geleiteten Sommerlager für straffällig gewordene Kinder. 1939 hielt sie in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)] einen Gastvortrag über das Thema "Orale Motive in der Behandlung einer Neurose". Zu der Zeit war Lilly Perl-Balla Kandidatin der MPE, wie aus einem Schreiben von István Hollós an das Emergency Committee 1939 hervorgeht.
Sie überlebte den Krieg und die deutsche Besetzung mit gefälschten Papieren und wurde 1946 außerordentliches Mitglied der MPE. Nach der von der kommunistischen Regierung erzwungenen Auflösung der Ungarischen Vereinigung setzte sie wie andere ungarische Psychoanalytiker:innen in den 1950er Jahren ihre Arbeit privat fort. Zu ihren letzten Analysand:innen zählten der ungarische Komponist und Pianist György Kurtág und dessen Frau Márta Kurtág. (Artikelanfang)
Margit Pfeiffer wurde in Budapest als Tochter des Grafikers Hellmann Mosonyi Pfeiffer und seiner Frau Gizella Taub geboren.* Sie studierte Medizin an der Universität Budapest (ab 1921 Péter-Pázmány-Universität), promovierte dort 1921 und spezialisierte sich als Kinderärztin. Margit Pfeiffer zählte zu den Anhänger:innen von Leopold Szondi und seiner Schicksalsanalyse und war in den 1930er Jahren - wie Erzsébet Kardos, Vera Groák und Lucy Liebermann - Mitarbeiterin Szondis in dessen Heilpädagogischem Laboratorium für Pathologie und Therapie. Neben ihrer Privatpraxis arbeitete sie außerdem als Ärztin der jüdischen Schule in der Wesselényi-Straße in Budapest.
Wie andere Mitarbeiterinnen Szondis interessierte sich Margit Pfeiffer für die Psychoanalyse und wurde eine Schülerin von Imre Hermann, einem der führenden Psychoanalytiker der Budapester Schule, bekannt durch seinen denkpsychologischen Ansatz und seine Anklammerungstheorie. 1944 war ihr Name in der Mitgliederliste der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)] aufgeführt, vermutlich als Kandidatin. Sie überlebte zusammen mit einigen anderen ungarischen Analytiker:innen Faschismus und Krieg in Budapest.
Ab 1946 war sie [Margit Schachtitz?] außerordentliches Mitglied der MPE, bis diese 1949 aufgelöst wurde. 1967, auf dem 25. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Kopenhagen, wurde Margit Pfeiffer direktes Mitglied der IPV. Sie war bis zu ihrem Ruhestand Chefärztin der kinderpsychotherapeutischen Abteilung im Péterfy Sándor Utcai Kórház, einem Krankenhaus im VII. Budapester Bezirk. (Artikelanfang)
Die Ärztin und Psychoanalytikerin Erzsébet (Elisabeth) Révész wurde in Nagyvarad in Ungarn (Transleithanien) geboren. Ihr Bruder Ladislaus Révész war ebenfalls Psychoanalytiker. Sie gehörte zur ersten Generation ungarischer Ärztinnen, schloss 1913 ihr Medizinstudium an der Budapester Universität ab und spezialisierte sich in Neurologie und Psychiatrie. Sie praktizierte als Nervenärztin in Budapest und 1916 in einem Sanatorium in Purkersdorf bei Wien. Im gleichen Jahr begann sie eine Analyse bei Sigmund Freud, die sie nach mehrmonatiger Unterbrechung 1918 fortsetzte. Noch im gleichen Jahr wurde sie Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und das erste weibliche Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Sigmund Freud schätzte sie sehr und sah in ihr eine zukünftige Assistentin von Sándor Ferenczi.
1919 trat Erzsébet Révész eine Stelle als Assistenzprofessorin in der von Ernő Moravcsik geleiteten Psychiatrischen Klinik der Medizinischen Universität in Budapest an. In ihren Vorträgen in der Ungarischen Vereinigung referierte sie über die Themen "Psychoanalyse eines Falles von Kleptomanie" (1919), "Synästhetische Halluzination als hysterisches Symptom" (1921), "Zur Phylogenese des Globus hystericus" (1922) und "Ein Fall von menstrueller Depression" (1922). Sie arbeitete als Lehranalytikerin in Budapest und verwaltete ab 1921 die Bibliothek der Ungarischen Vereinigung. Zu ihren Analysanden zählten unter anderen Imre Hermann und Sándor Radó.
1919 heiratete sie ihren Analysanden Sándor Radó (1890-1972), Arzt und 1913 Mitbegründer der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Ihre Ehe erwies sich als schwierig, Radó ging 1922 nach Berlin. Erzsébet Révész begab sich nach dem Tod ihres "geliebt-gehassten" Vaters zu Ferenczi in die Analyse, während der sie, im sechsten oder siebten Monat schwanger, an progressiver perniziöser Anämie erkrankte und starb. (Artikelanfang)
Lillian Rotter stammte aus einer gebildeten jüdischen Familie in Budapest. Ihr Vater war Journalist bei der deutschsprachigen Tageszeitung Pester Lloyd, ihre Mutter Gesangslehrerin. Die Kindheit Lillian Rotters wurde überschattet von einem Hüftleiden, das mehrere Operationen notwendig machte und sie zu lebenslangem Hinken zwang. Sie studierte in Budapest Medizin und legte 1920 ihr Examen ab. Als Studentin gehörte sie wie Edith Gyömröi und Lilly Hajdu dem linksintellektuellen Galilei-Kreises an. 1923 heiratete sie den Arzt Tivadar Kertész (1889-1979).
Ihre psychoanalytische Ausbildung begann Lillian Rotter im Jahr 1920. Sie machte eine Lehranalyse bei Imre Hermann und wurde 1930 Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)], wo sie wegen ihrer Arbeiten zur psychosexuellen Entwicklung großes Ansehen genoss. Ihr Interesse galt besonders der Mutter-Kind-Beziehung und der Sexualität der Frau. So beschrieb sie 1934 in ihrem Aufsatz Zur Psychologie der weiblichen Sexualität, wie das Mädchen aus der Entdeckung, am männlichen Körper Erektionen auslösen zu können, Selbstbewusstsein und Machtgefühl bezieht. Rotter folgerte daraus - entgegen der These vom weiblichen Penisneid -, dass die Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer sicher ist und der doch im sexuell-generativen Leben eine so wichtige Rolle zukommt, sich schwerlich kastriert und minderwertig fühlen könne.
Von 1938 an verschärfte sich die Situation auch für die in Ungarn lebenden Juden. 1941 wurden Lillian Rotter-Kertész und ihr Mann verhaftet und vorübergehend im Budapester Ghetto interniert. Trotz der Bedrohung hielt sie gemeinsam mit Endre Petö ihre sog. Mutter-Seminare ab, die 1946 gesammelt unter dem Titel A gyermek lelki fejlodése [Die seelische Entwicklung des Kindes] publiziert wurden.
Nach dem Krieg trat Lillian Rotter wie zahlreiche ihrer Kollegen der regierenden Kommunistischen Partei bei. Sie übernahm es, die Stadt Budapest in Fragen der Psychohygiene zu beraten. Als 1949 die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung aufgelöst wurde, bestritt Lillian Rotter die nächsten Jahre ihren Lebensunterhalt als Laborärztin. Mitte der 1960er Jahre beteiligte sie sich an der Neuorganisation der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung und gründete ein kinderanalytisches Seminar.
Wegen einer schweren Erkrankung ihres Mannes litt Lillian Rotter in ihren letzten Lebensjahren unter Depressionen. Sie überlebte ihn um zwei Jahre und starb mit 85 Jahren an Altersschwäche. (Artikelanfang)
Sulamith Szendike Färber wurde als Tochter von Jakab Färber und Malvina Weisz in Szeged geboren. Sie war Mitglied des linksintellektuellen Galilei-Kreises, wo sie ab 1913 dem Vorstand angehörte. Hier lernte sie auch ihren Mann, den Rechtsanwalt und Schriftsteller László Rubin (1888-1942) kennen, Mitgründer und später Präsident des Galilei-Kreises, den sie 1914 heiratete. 1918 wurde ihr Sohn Péter geboren.
1917 schloss sie ihr Medizinstudium an der Universität Budapest ab. In den 1920er Jahren arbeitete sie mit schwer erziehbaren und geistig zurückgebliebenen Kindern im Gyógypedagógiai Gyermekszanatórium, einem von Margit Révész geleiteten heilpädagogischen Kindersanatorium in Budapest, und verfasste Artikel für die Zeitschrift Magyar Gyógypedagógia. 1936 erhielt sie ihre Zulassung als Kinderärztin.
1939 hielt Zelma Rubin-Färber ihren Vortrag "Ein Fall mit Angstneurose" in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung ([Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)], deren Mitglied sie im gleichen Jahr wurde. Sie überlebte die deutsche Besetzung und den faschistischen Terror in Budapest, nachdem Bemühungen um Affidavits für sie und andere ungarische Psychoanalytiker:innen gescheitert waren. 1947 referierte sie in der MPE über "Problemkinder", und 1948 wurde sie Schatzmeisterin der Vereinigung, bevor diese ein Jahr später unter der kommunistischen Regierung aufgelöst wurde. Ende der 1940er Jahre heiratete sie Bélá Szőgyén und lebte in Budapest, wo sie 1952 an einer Herzkrankheit starb. (Artikelanfang)
Piroska Stein wurde in eine ungarisch-jüdische Familie in Kassa (Košice) geboren als Tochter des Rechtsanwalts Samu Fényes und Etel Weisz. Sie war mit dem Chemieingenieur Frigyes Stein (1889-?) verheiratet. Piroska Stein schloss ihr Studium als Pädagogin ab und promovierte zum Dr. phil. Sie wurde eine Anhängerin der Individualpsychologie Alfred Adlers und war Mitglied der Ungarischen Vereinigung für Individualpsychologie [Magyar Individuálpszichológiai Egyesületnek (MIPE)], wo sie 1934 einen Vortrag über "Átöröklés és nevelés" [Vererbung und Bildung] hielt. Bildungs- und Erziehungsfragen bildeten die Themen weiterer Vorträge und Aufsätze von ihr in den 1930er Jahren.
Sie überlebte den faschistischen Terror in Budapest und wurde 1946 ordentliches Mitglied der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung [Magyar Pszichoanalitikus Egyesület (MPE)]. Sie war als Schulpsychologin tätig und hielt im Rahmen der Zusammenarbeit der MPE mit dem Amerikanisch-Jüdischen Gemeinsamen Spendenkomitee Vorträge über Erziehungsfragen für das Personal des Komitees. Nachdem die MPE 1949 aufgelöst wurde, weil die kommunistische Regierung die Psychoanalyse als staatsgefährdende Ideologie betrachtete, arbeitete Piroska Stein als Gymnasiallehrerin.
Die Psychoanalytikerin und Kinderpsychologin Teréz Virág erforschte als erste in Ungarn das Holocaust-Syndrom. Sie wurde in eine jüdische Familie in Budapest geboren, ihr Vater starb 1943, ihre Mutter wurde 1944 in das KZ Ravensbrück deportiert. Teréz Virág blieb mit ihrer Schwester im Pester Ghetto zurück und überlebte den faschistischen Terror (vermutlich dank einer der Rettungsaktionen von Lajos Gidófalvy und Raoul Wallenberg). Ihre Mutter kehrte nach der Befreiung im Mai 1945 nach Ungarn zurück.
Von 1949 bis 1953 absolvierte Teréz Virág ein Wirtschaftsstudium und lehrte danach dieses Fach. Sie heiratete Péter Kardos, von dem ihre beiden Kinder Katalin (*1952) und Endre (*1957) stammen. In den 1960er Jahren studierte sie Psychologie an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest, erhielt 1967 ihr Diplom und promovierte 1972. Sie machte eine Lehranalyse bei Imre Hermann und wurde Mitglied und Lehranalytikerin der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung. Wie Livia Nemes und Ágnes Binét war sie Mitarbeiterin in der von Júlia György 1968 gegründeten Kinderpsychologischen Poliklinik Gyermekpszichológiai Rendelő. Bis 1987 arbeitete sie als leitende Psychotherapeutin am Kinderkrankenhaus Madarász utcai Gyermekkórház in Budapest.
Seit Beginn der 1980er Jahre bildete die Analyse des Holocaust-Traumas und dessen transgenerationale Weitergabe den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Teréz Virág organisierte 1990 im Rahmen des Ungarischen Jüdischen Kulturvereins die erste ungarische Holocaust-Gesprächsgruppe. 1991 schuf sie zusammen mit ihrem Mann die KÚT-Stiftung mit dem Ziel, ein therapeutisches Zentrum für Patienten mit sozialen Traumata einzurichten. 1993 gründete sie die erste psychotherapeutische Praxis in Budapest für ungarische Überlebende des Holocaust und deren Nachkommen. In zahlreichen Veröffentlichungen beschrieb Teréz Virág ihre Theorie des Holocaust-Syndroms in der dritten Generation und berichtete über ihre Arbeit mit den Familien traumatisierter ungarischer Holocaust-Überlebender. (Artikelanfang)
Lilla Laura Wagner wurde in Budapest geboren als Tochter des Ingenieurs Marcell Wagner und seiner Frau Mária Löwy. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Ästhetik an der Ferenc-József-Universität in Szeged und wurde dort 1926 zum Dr. Phil. promoviert. 1922 heiratete sie den ungarisch-jüdischen Rechtsanwalt Mátyás Vészi (1892-1959?). Vier Jahre später wurde ihre Tochter Marcella geboren. Lilla Wagner war in den 1930er Jahren Mitglied der Ungarischen Psychologischen Gesellschaft und der literarischen János-Vajda-Gesellschaft. Sie engagierte sich in der Frauenbewegung und hielt auf dem Internationalen Frauenkongress 1930 in Wien als Delegierte der ungarischen Frauenverbände einen Vortrag über Staatenlosigkeit.
1951 emigrierte sie mit ihrem Mann nach England. Sie ließen sich in London nieder, wo Lilla Vészi-Wagner - nach ihrer Emigration: Veszy-Wagner - zunächst als Bibliothekarin und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete. Sie wurde Mitglied der British Psychoanalytical Society und praktizierte bis 1977 als Psychoanalytikerin in London. Von ihr stammt das als Band XVIII erschienene Gesamtregister zu Sigmund Freuds Gesammelten Werken.
Lilla Wagners vielseitiges Werk enthält rechts- und sozialwissenschaftliche Arbeiten, psychologische und psychoanalytische Studien, aber auch Romane, Gedichte und Märchen. Unter anderem verfasste sie eine Soziologie des ungarischen Volksmärchens (1928) und einen Überblick über die psychologische Anthropologie (1946). Einen Schwerpunkt ihrer zahlreichen psychoanalytischen Veröffentlichungen bildet die Deutung von Mythen, Sagen und literarischen Werken.
1972 erschien ihre umstrittene Studie A negyedik Petöfi [Der vierte Petöfi] über Leben, Werk und Persönlichkeit des ungarischen Nationaldichters Sándor Petöfi, der 1849 im Unabhängigkeitskrieg getötet wurde. Mit dem "vierten Petöfi" ist der psychoanalytisch gedeutete Petöfi gemeint, neben dem Revolutionär, Nationalhelden und Dichter Sándor Petöfi. Aus ihrer Deutung der Bildersprache in den Gedichten Petöfis zog Lilla Wagner den Schluss, dass das ambivalente Verhältnis Petöfis zu seinem Vater die Grundlage für seinen Tyrannenhass bildete, während die Beziehung zur Mutter seinen Patriotismus und seine Natur- und Liebeslyrik prägte. (Artikelanfang)