Lina Balestriere Andrée Bauduin Jacqueline Harpman Luce Irigaray (Frankreich) Thérèse Jacobs van Merlen Camille Lechat-Ledoux Maud Mannoni (Frankreich) |
Maria Carmela "Lina" Balestriere wurde auf Ischia geboren. Sie studierte Psychologie an der Université Catholique de Louvain (UCL) in Brüssel, wo sie 1977 ihr Diplom machte und 1993 promovierte. Ihre Dissertation Freud et la question des origines erschien 1998 als Buch. Seit Beginn der 1970er Jahre war sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Psychoanalytiker Roland Geeraert (1950-2012), im Zentrum für psychische Gesundheit „Chapelle-aux-Champs“ aktiv, und 1977 war sie Mitgründerin des psychiatrischen Dienstes der UCL, des Service de Santé Mentale "Le Chien Vert".
Ihre psychoanalytische Ausbildung erhielt sie in den 1970er Jahren bei der École Belge de Psychanalyse / Belgische School voor Psychoanalyse (EBP-BSP). Die EBP war 1969 von phänomenologisch und lacanianisch orientierten Psychoanalytiker:innen ins Leben gerufen worden, die mit der medizinisch ausgerichteten Société Belge de Psychanalyse unzufrieden waren. Um 1980 wurde Lina Balestriere Mitglied der EBP, deren Präsidentin sie von 2009 bis 2012 war.
Als 1988 an der UCL das Centre de Formation aux Cliniques Psychanalytiques (CFCP) etabliert wurde, gehörte Lina Balestriere zum ersten Lehrkörper und bildete Psychologinnen und Psychiater in psychoanalytischer Psychotherapie aus. Sie war außerdem Mitglied der Association des Psychologues Praticiens d'Orientation Psychanalytique (APPPpsy) und der Inter-associatif Européen de Psychanalyse.
Lina Balestriere vertrat eine freudianische Ausrichtung, ergänzt durch Ideen von Sándor Ferenczi, Donald Winnicott und Piera Aulagnier. Die Originalität ihres theoretischen Ansatzes besteht vor allem in der spezifischen Verortung der "Mutter" in der Freudschen Metapsychologie. Die "mütterliche Funktion" [fonction maternelle] ist nach Balestriere mit der Erfahrung einer Besänftigung [apaisement] verbunden. Sie wird durch das Konstanzprinzip reguliert und ermöglicht die Ausbildung einer rhythmischen Kontinuität von Anspannung und Entspannung.
Lina Balestriere hinterlässt ihren Lebensgefährten Salvatore Mattera und ihre Kinder Vanessa und Alexis Geeraert. (Artikelanfang)
Die belgische Psychiaterin und Psychoanalytikerin Andrée Bauduin studierte Medizin an der Universität Liège, promovierte dort 1961 und spezialisierte sich als Kinderpsychiaterin. In den 1960er Jahren gründete sie die erste Abteilung für Kinderpsychiatrie an der Universität Liège, wo sie in den folgenden Jahren als Forschungsdirektorin für die Kinderpsychiatrie verantwortlich war. Sie war Mitglied und Präsidentin der Société Belge de Psychiatrie de l’enfant.
Nachdem sie 1977 ihren Einführungsvortrag über die Entstehungsbedingungen der Symbolisierung gehalten hatte, wurde sie Mitglied der Société Belge de Psychanalyse. Ihr zweiter Wirkungsort neben Liège war Paris, und sie war auch Mitglied der Société Psychanalytique de Paris und von 1997 bis 2004 Ko-Direktorin der Revue francaise de psychanalyse.
Andrée Bauduins besonderes Interesse galt der Beziehung zwischen Psychoanalyse und Literatur. Sie berief sich häufig auf literarische Werke, so u. a. auf Romain Gary / Émile Ajar (Garys Pseudonym) in Psychanalyse de l'imposture. In dieser Abhandlung über den Betrüger, definiert als jemand, der vorgibt ein anderer zu sein, ging Bauduin über die Einordnung der vorgetäuschten Identität als eine Form der Perversion hinaus und hob das grundlegende Paradox des Betrügers hervor, der mithilfe der geliehenen Identität sein Gefühl persönlicher Identität festigt.
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung war das Konzept des Vorbewussten, das auch Thema ihres vielbeachteten Vortrags Du préconscient war, den sie auf dem 46. Kongress romanisch-sprachiger Psychoanalytiker 1986 in Liège hielt. Daubuin definierte das Vorbewusste als Resultat der Verdrängungsarbeit, als den Teil des Ichs, in dem die Verdrängung wie auch die Wiederkehr des Verdrängten stattfinden.
1995 erhielt Andrée Bauduin den Prix Maurice-Bouvet für ihre Aufsätze Le feminin comme transaction entre l'objet partiel et l'objet total (1993) und L'aliénation érotique de la fille à sa mère (1994). (Artikelanfang)
Die belgische Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Jacqueline Harpman wurde in Etterbeek (Brüssel) geboren. Sie war die jüngere von zwei Töchtern des aus den Niederlanden stammenden jüdischen Geschäftsmanns Andries Harpman und der belgischen Verkäuferin Jeanne Honorez. Nach der deutschen Invasion 1940 floh die Familie aus Belgien über Paris nach Marokko und lebte fünf Jahre lang in Casablanca.
Zurück in Brüssel beendete Jacqueline Harpman das Gymnasium und schrieb sich 1947 im Fach Medizin an der Université Libre de Bruxelles (ULB) ein. 1950 erkrankte sie jedoch an Tuberkulose und musste ihr Studium unterbrechen, um 21 Monate im Universitätssanatorium in Eupen zu verbringen. Danach setzte sie ihr Medizinstudium bis zum Doktorat fort, beendete es aber aus verschiedenen Gründen nicht.
1953 heiratete sie den flämischen Filmemacher Émile Degelin (1926-2017) und widmete sich in den folgenden Jahren dem Schreiben von Romanen. Ihre Ehe wurde 1962 wieder geschieden. Ein Jahr später heiratete sie den belgischen Architekten und Dichter Pierre Puttemans (1933-2013) und bekam mit ihm zwei Töchter, Marianne (*1963) und Toinon (*1965).
1967 entschied sich Jacqueline Harpman für ein Studium der Psychologie an der ULB, das sie 1970 mit einer Diplomarbeit über die Vorhersagevalidität von Rorschachtests abschloss. 1969 trat sie eine Stelle als Psychotherapeutin an der psychiatrischen Klinik Fond'Roy in Uccle (Brüssel) an, wo sie bis 1976 tätig war. Parallel dazu absolvierte sie von 1971 bis 1977 eine Lehranalyse und wurde außerordentliches Mitglied der Société belge de psychanalyse (SBP). Nach ihrem Vortrag "Le retour impossible" erhielt sie 1987 die Vollmitgliedschaft in der SBP, wo sie eine kleinianische Richtung vertrat. 2011 zog sie sich aus der SBP zurück.
Ihr Lebensthema war die Beziehung zwischen Literatur und Psychoanalyse. Darüber hielt sie 1993 eine Reihe von Vorlesungen am Chaire de poétique der Université catholique de Louvain, die zusammen mit anderen Aufsätzen in der Harpman gewidmeten Nr. 51, 2011 der Revue belge de psychanalyse sowie in dem im gleichen Jahr erschienenen Sammelband Écriture et psychanalyse veröffentlicht worden sind. Einen Schwerpunkt bildet ihre psychoanalytische Lektüre von Marcel Prousts Recherche du temps perdu.
International bekannt wurde Jacqueline Harpman als Verfasserin einer Anzahl preisgekrönter Romane. Für ihr Lebenswerk erhielt sie 2006 den Grand Prix de Littérature de la Société des Gens de Lettres. (Artikelanfang)
Die Ärztin und Psychoanalytikerin Thérèse Jacobs van Merlen wurde in Antwerpen geboren als Tochter von Louis Jacobs van Merlen und Marie-Henriette geb. Havenith. Sie schloss ihr Medizinstudium an der Université catholique de Louvain (UCL) ab und spezialisierte sich als Psychiaterin. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte sie der belgischen Widerstandsgruppe Nationale Koninklijke Beweging an und arbeitete in einem Hospital der Résistance in Antwerpen.
Nach Kriegsende ging sie nach Frankreich, um eine psychoanalytische Ausbildung bei der Société Psychanalytique de Paris (SPP) zu absolvieren. Ihr Lehranalytiker war André Berge, Kontrollanalytiker waren Sacha Nacht, Serge Lebovici und René Diatkine. 1953 kehrte sie nach Belgien zurück und schloss sich der Association des Psychanalystes de Belgique (APB) an. Nachdem deren beiden Gründer Fernand Lechat und Maurice Dugautiez 1959 bzw. 1960 gestorben waren, übernahm Thérèse Jacobs von 1960 bis 1962 das Amt der Präsidentin der APB, die 1960 in Société Belge de Psychanalyse umbenannt wurde. Bis in die 1980er Jahre spielte sie eine wichtige Rolle in der belgischen psychoanalytischen Gesellschaft. Auf ihre Anregung hin wurde 1957 eine Ausbildungskommission eingerichtet, deren Präsidentin sie viele Jahre lang war. Unter ihrer Regie wurden strengere Kriterien für die Ausbildung eingeführt, wie z. B. die Forderung nach einer therapeutischen Analyse vor der eigentlichen Lehranalyse. Sie war außerdem Mitglied der SPP.
1966 heiratete Thérèse Jacobs van Merlen den Chemiker Francis van Hecke (1920-2020). Zuletzt praktizierte sie als Psychiaterin in Woluwe-Saint-Pierre (Brüssel). Sie starb kurz vor ihrem 100. Geburtstag in Brüssel. (Artikelanfang)
Camille Lechat-Ledoux zählte zu den Pionier:innen der Psychoanalyse in Belgien. Sie stammte aus Ixelles/Elsene und war Lehrerin von Beruf, als sie 1926 den Versicherungsagenten und späteren Rorschach-Spezialisten Fernand Lechat (1895-1959) heiratete. In den 1920er Jahren gründeten Fernand und Camille Lechat zusammen mit dem gelernten Elektriker Maurice Dugautiez in Brüssel den Cercle d'études psychiques, in dem neben Spiritismus und Hypnose auch Psychoanalyse praktiziert wurde. Von 1936 an reisten sie nach Paris, um ihre Fälle von John Leuba und Marie Bonaparte supervidieren zu lassen. Als der Wiener Psychoanalytiker Ernst Paul Hoffmann sich nach dem "Anschluss" Österreichs 1938 in Brüssel niederließ, machte alle drei eine Lehranalyse bei ihm und erhielten 1939 von der Société Psychanalytique de Paris ihre Zulassung. Camille Lechat absolvierte in Frankreich auch eine Ausbildung als Kinderpsychoanalytikerin.
Nachdem Belgien 1940 von den Deutschen besetzt worden war, praktizierten Maurice Dugautiez und das Ehepaar Lechat offenbar in ihren Privatwohnungen weiter. Als der Krieg vorbei war, gründeten sie am 24. Dezember 1946 die Association des Psychanalystes de Belgique (APB) - die erste psychoanalytische Vereinigung Belgiens, deren einzige Lehranalytiker:innen sie in den folgenden Jahren waren. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm Camille Lechat vorübergehend die Präsidentschaft der APB, bis diese 1960 in die Société Belge de Psychanalyse (SBP) bzw. Belgische Vereniging voor Psychoanalyse überging. Camille Lechat beteiligte sich bis an ihr Lebensende an den Aktivitäten der SBP, deren Vizepräsidentin sie in den 1960er Jahren war. (Artikelanfang)