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Seit 1710 Teil des Russischen Reichs, erlangte Estland wie die anderen baltischen Staaten 1918 die Unabhängigkeit. 1940 wurde das Land als Estnische Sozialistische Sowjetrepublik (ESSR) von der Sowjetunion annektiert, von 1941 bis 1944 von deutschen Truppen besetzt, danach von der Roten Armee. 1944 wiederhergestellt, bestand die ESSR bis 1990, als Estland sich zur unabhängigen Republik erklärte.
Erstmals bekannt machte die Psychoanalyse in Estland der estnische Pädagoge Aleksander Elango, der sich besonders für die praktische Anwendbarkeit der Ideen Sigmund Freuds, Alfred Adlers und C. G. Jungs in der Pädagogik interessierte. Die Psychoanalyse als Psychotherapie spielte bis 1940 in Estland keine Rolle. In der ESSR von 1940 bis 1988 – unterbrochen durch die deutsche Besatzungszeit – fand eine öffentliche Diskussion der als dekadent geltenden Psychoanalyse nicht statt. Einer der wenigen Verfechter psychoanalytischer Ideen bzw. des Ansatzes von C. G. Jung, war der Psychiater und Autor Vaino Vahing.
Anfang der 1990er Jahre wurden Kontakte geknüpft zu der estnischen Psychoanalytikerin Eve Suurvee in Schweden und den Psychoanalytiker:innen Ulla Arnell, Tiit Saarmann and Carl-Erik Brattemo in Finnland. In der Folge startete in Finnland ein erstes Ausbildungsprogramm in psychoanalytischer Psychotherapie für Interessierte aus Estland. 1994 initiierten Sinne Naruskberg und Ants Parktal in Talinn die Professionaalse Psühholoogia Erakool [Private School of Professional Psychology], wo erstmals in Estland psychoanalytische Theorie und Parxis auf dem Lehrplan einer staatlich anerkannten Institution stand.
Von 2000 bis 2004 fand in Helsinki eine vierjährige psychoanalytische Ausbildung psychoanalytisch orientierter Psychotherapeuten aus Russland, Estland und Lettland nach den Kriterien der International Psychoanalytical Association (IPA) statt, angeboten von der finnischen psychoanalytischen Gesellschaft Suomen Psykoanalyyttinen Yhdistys. Die vier estnischen Kandidat:innen Erika Saluveer, Endel Talvik, Andres Adams und Ants Parktal wurden Direktmitglieder der IPA. In Finnland und Schweden ausgebildete Psychoanalytiker:innen gründeten 2004 die erste Estonian Psychoanalytic Society gegründet, die Eesti Psühhoanalüütiline Selts. Den Vorstand bilden heute Merike Alas, Edith Herkel und Erika Saluveer,
2012 initiierten estnische und lettische Psychoanalytiker:innen die Estonian-Latvian Psychoanalytic Society als IPA Study Group. Die offizielle Gründung der Estnisch-lettischen psychoanalytischen Gesellschaft Eesti-Läti Psühhoanalüütiline Selts (ELPS) fand 2016 statt. Heute (2021) ist die ELPS Provisional Society der International Psychoanalytical Association (IPA) und der European Psychoanalytical Federation (EPF). Sie hat derzeit 14 Mitglieder, Präsidentin ist Silvija Lejniece. 2014 wurde die Eesti Psühhoanalüütilise Psühhoteraapia Assotsiatsioon (EPPA) als Dachorganisation für psychoanalytische Psychotherapie gegründet.
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Lettland gehörte seit 1795 zum Russischen Kaiserreich, bis es 1918 unabhängig wurde. Interesse an der Psychoanalyse kam in Lettland in den 1920er und 1930er Jahren auf. Großen Anteil daran hatte der Schweizer Pädagoge und Psychoanalytiker Ernst Schneider, der von 1920 bis 1928 in deutscher Sprache am pädagogischen Institut der Universität Lettland in Riga lehrte. Er war ein Analysand von Oskar Pfister und C. G. Jung und vor allem ein Wegbereiter der psychoanalytischen Pädagogik in Lettland. Seine Vorlesungen wurden von der lettischen Kinderpsychologin Eleonora Upatniece ins Lettische übersetzt. In seiner 1920 gehaltenen Vorlesung "Was ist Psychoanalyse" fiel das Wort "Psychoanalyse" öffentlich zum ersten Mal in Lettland. Auch der österreichische Psychoanalytiker Rudolf von Urbantschitsch hielt 1928 Vorlesungen in Riga und in Liepāja.
Die ersten lettischen professionell arbeitenden Psychoanalytiker:innen waren die Nervenärztin Millija Vosvinieks, die Pädagogin Berta Bers und die Ärztin Feiga Kramer. Alle drei erhielten ihre psychoanalytische Ausbildung in den 1920er und 1930er Jahren am Berliner Psychoanalytischen Institut (BPI). Aus Riga stammte der Psychoanalytiker Felix Boehm, dessen Analysandin Alexandra Wolff Stomersee war, eine Baroness mit deutsch-baltischen Wurzeln, die später eine wichtige Rolle in der psychoanalytischen Bewegung in Italien spielte.
Institutionell etablieren in Lettland konnten sich die Anhänger:innen Alfred Adlers und seiner Individualpsychologie: 1928 wurde in Riga die erste Lettische Gesellschaft für Individualpsychologie gegründet, 1930 folgte eine weitere, die Latvijas Individuālpsiholoģijas biedrība, die von Jānis Bunduls geleitet wurde und bis 1936 bestand. Zu den lettischen Anhänger:innen der Individualpsychologie zählte Milda Liepiņa.
Nach dem Staatsstreich 1934 herrschte unter Kārlis Ulmanis ein autoritäres Regime, politische Parteien wurden verboten. Obwohl die Verstaatlichung von Banken und Großindustrie den Interessen vieler jüdischer Finanziers und Unternehmer zuwiderlief, verfolgte Ulmanis keine antisemitische Politik. So nahm das Land ab 1938 verfolgte Juden aus Deutschland und Österreich auf. Dass Fenichel in dieser Zeit von einem "lettischen Faschismus" sprach, passte jedoch zu den unter Ulmanis propagierten konservativ nationalistischen Blut-und-Boden-Werte. Die Psychoanalyse konnte in enem solchen Umfeld nur Anstoß erregen.
Während Siegfried Bernfeld 1932 und 1933 in Riga noch Vorlesungen über die Psychoanalyse halten konnte, wurde dies ein Jahr später Otto Fenichel untersagt. Dieser hielt 1935 fest, dass lettische Übersetzungen von Freuds Schriften verboten und jüdische Analytiker in Riga politisch verfolgt wurden. Die Psychoanalytikerin Berta Bers, Leiterin einer jüdischen Schule in Riga, wurde vom Schuldienst suspendiert und emigrierte nach New York. Eine letzte lettische Übersetzung Freuds, nämlich seiner Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie [Trīs apcerējumi par seksuālo teoriju], erschien 1935.
Während der deutschen Besatzungszeit (1941-1944) konnte das Institut für Experimentelle Psychologie an der Philologisch-Philosophischen Fakultät der Universität Lettland seine Arbeit fortsetzen. In der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1944-1990) hingegen kamen Psychologie und Psychotherapie nahezu zum Erliegen. Anerkannt waren einzig die Lehren Pawlows und anderer russischer Experimentalpsychologen.
Nach der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1990 kam mit dem schwedisch-lettischen Familientherapeuten Andrejs Ozolins die psychoanalytische Psychotherapie nach Lettland. 2005 etablierte die Finish Association of Child and Adolescent Psychoanalytic Psychotherapy in Lettland ein Ausbildungsprogramm für psychoanalytische Psychotherapie. Ein Jahr später richteten die kanadischen Kinderanalytikerinnen Frieda Martin und Elizabeth Tuters eine Infant Mental Health Organisation in Lettland ein.
2012 initiierten estnische und lettische Psychoanalytiker:innen die Estonian-Latvian Psychoanalytic Society als IPA Study Group. Die offizielle Gründung der Estnisch-lettischen psychoanalytischen Gesellschaft Eesti-Läti Psühhoanalüütilise Selt (ELPS) fand 2016 statt. Heute (2021) ist die ELPS Provisional Society der IPA und der European Psychoanalytical Federation (EPF). Sie hat derzeit 14 Mitglieder, Präsidentin ist Silvija Lejniece. (Artikelanfang)
Litauen gehörte seit 1795 zu Russland, bis es 1918 souveräne Republik wurde, die ab 1926 allerdings autoritär geführt wurde. Nach der sowjetischen Okkupation im Jahr 1940 wurde das Land zur Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik, unterbrochen von der deutschen Besetzung (1941–1944), und erlangte erst 1990 seine Unabhängigkeit zurück.
In der Zeit von 1919 bis 1940 zeigten litauische Intellektuelle Interesse für Sigmund Freuds Lehre, regulär ausgebildete Psychoanalytiker;innen gab es während dieser Zeit in Litauen aber wohl nicht. Ein prominenter Verfechter der Psychoanalyse war der später in Dachau ermordete Arzt und Psychologe Vladas Lazersonas. Die Etablierung der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik 1944 bedeutete einen Rückschlag für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse, nun als bourgeoise Pseudowissenschaft abgestempelt. Einer der wenigen psychoanalytisch Praktizierenden war der Psychiater Aleksandras Alekseičikas, der ab Mitte der 1970er Jahre psychoanalytische Techniken in die Gruppenpsychotherapie einführte.
1987 gründeten die psychoanalytisch orientierten Psychotherapeuten Virginijus Pocius, Rimvydas Augis und Levas Kovarskis die Lithuanian Group of Dynamic Psychology, aus der 1989 die Lietuvos psichoanalizės taikymo draugija [Lithuanian Society for the Application of Psychoanalysis] hervorging. Die Mitglieder ließen sich teils in Finnland, teils in von der European Psychoanalytical Federation (EPF) in Litauen organisierten Workshops ausbilden, deren Präsidentin Han Groen-Prakken sich besonders für die Institutionalisierung der Psychoanalyse in Osteuropa einsetzte. Ab 1995 wurde nach dem Vorbild der Nederlandse Vereniging voor Psychoanalytische Psychotherapie ein Ausbildungsprogramm in psychoanalytischer Psychotherapie etabliert. Die Lehranalytiker kamen überwiegend aus Holland oder waren in Finnland ausgebildete Litauer. 2000 wurde die Lietuvos psichoanalizės taikymo draugija in Lietuvos psichoanalizės draugija (LPaD) [Lithuanian Society of Psychoanalysis] umbenannt und wurde assoziiertes Mitglied der European Federation for Psychoanalytic Psychotherapy (EFPP). Präsidentin der LPaD ist derzeit Ilona Kajokienė. Seit 2011 findet die psychoanalytische Ausbildung im Rahmen der Philosophischen Fakultät der Universität Vilnius statt.
1994 bildete sich an der Medizinischen Universität Kaunas unter der Leitung der Ärztin Vida Mickienė die Studiengruppe Kauno psichoanalizės ir psichoterapijos studijų grupė, die mit dem Institutt for Psykoterapi in Oslo zusammenarbeitete. Daraus ging 2008 die Kauno psichoanalizės ir psichoterapijos studijų draugiją (KPPSD) [Society for the Study of Psychoanalysis and Psychotherapy] hervor, die im selben Jahr Vollmitglied der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) wurde. Derzeitige Vorsitzende der KPPSD ist Gražina Vilcinienė. Eine weitere psychoanalytische Gesellschaft ist die 2006 gegründete Vilniaus Psichoanalitikų draugija (VPsaD) [Vilnius Society of Psychoanalysts], die 2009 als Vilnius Study Group von der IPA anerkannt wurde. (Artikelanfang)
Das Königreich Jugoslawien ging 1918 aus der Zerschlagung Österreich-Ungarns hervor und wurde 1941 von NS-Deutschland und Italien besetzt und aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand von 1945 bis 1992 die Föderative Volksrepublik bzw. ab 1963 Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, mit den sechs Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Mazedonien. Der Zerfall Jugoslawiens begann 1991 mit den Unabhängigkeitserklärungen einiger Teilrepubliken, was zu den Jugoslawienkriegen von 1991 bis 2001 führte. Die sechs Teilrepubliken plus Kosovo bilden heute die Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
Die psychoanalytische Bewegung in Jugoslawien begann in den 1920er Jahren mit den Aktivitäten dreier in Wien und Berlin ausgebildeter Psychoanalytiker: Der 1898 in Zagreb geborene jüdische Neuropsychiater Stjepan Betlheim absolvierte seine Lehranalyse bei Paul Schilder in Wien und Sándor Rádo in Berlin, wurde 1928 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) und praktizierte dann als Psychoanalytiker in Zagreb. Der 1897 in Subotica geborene jüdische Neuropsychiater Nikola Mikloš Šugar machte 1924/25 eine Lehranalyse bei Felix Boehm in Berlin, setzte seine Ausbildung in Wien fort und wurde 1925 Mitglied der WPV. Er praktizierte ab 1927 als Psychoanalytiker in Subotica, bis er 1937 nach Belgrad zog. Der 1894 in Vukovar geborene jüdische Neuropsychiater Hugo Klajn machte 1922 eine Analyse bei Paul Schilder in Wien, praktizierte danach als Psychoanalytiker in Belgrad und übersetzte einige Hauptwerke Sigmund Freuds ins Serbokroatische.
Betlheim und Šugar begannen in den 1930er Jahren mit dem Aufbau einer psychoanalytischen Vereinigung in Jugoslawien. 1938 wurde die Belgrader Arbeitsgemeinschaft [Psihoanalitičko društvo u Beogradu] gegründet, deren Leiter Nikola Šugar war. Sie traf sich zunächst an der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad. Nachdem der Gruppe dies verboten wurde, fanden die Treffen privat bei Šugar statt. Bevor die Belgrader Arbeitsgemeinschaft die Anerkennung der IPA erlangen konnte, bereitete die Besetzung Jugoslawiens 1941 ihren Bemühungen ein Ende. Betlheim und Klajn schlossen sich dem jugoslawischen Widerstand an und überlebten den Zweiten Weltkrieg, Nikola Šugar wurde 1944 deportiert und verschwand im KZ Theresienstadt. Eine Analysandin Betlheims, Lizzi Rosenberger, emigrierrte 1941 nach Palästina und wurde Lehranalytikerin der Israel Psychoanalytic Society.
Die Psychoanalyse galt auch in Titos Jugoslawien als bourgeoise Ideologie, die Ächtung der Lehre Freuds war jedoch weniger rigoros als in den übrigen sozialistischen Ländern.
In Kroatien versammelte Stjepan Betlheim, der seit 1952 Direktmitglied der IPA war, als Leiter der Psychiatrischen Abteilung in der Neuropsychiatrischen Klinik der Medizinischen Fakultät in Zagreb eine Gruppe psychoanalytisch interessierter Psychiater:innen um sich. 1953 etablierte er hier eine ambulante psychotherapeutische Abteilung, wo Patient:innen mit psychoanalytischer Psychotherapie behandelt wurden. Aus diesem Department für Psychotherapie ging 1969 das Zentrum für psychische Gesundheit [Centra za mentalno zdravlje] hervor und ab 1988 das Department für Psychologische Medizin [Klinika za psihološku medicinu], die eine zentrale Rolle bei der Ausbildung und Praxis psychoanalytisch orientierter Psychotherapie spielten. Zu den engen Mitarbeiter:innen, mit denen Betlheim seit Ende der 1950er Jahre Analysen durchführte, gehörten Duška Blažević, Neda Bućan, Eugenija Cividini-Stranić, Eduard Klain und Maja Beck-Dvoržak, die nach Betlheims Tod 1970 dessen Werk fortsetzten. Blažević und Klain gründeten 1971 die psychoanalytisch orientierte Zeitschrift Psyhoterapja. Duška Blažević bildete zwei weitere Kolleg:innen aus: die Kinderpsychiater:innen Milica Vlatković Prpić und Staniša Nikolić. Nikolić spezialisierte sich bei Serge Lebovici in Paris auf analytisches Psychodrama und führte diese Technik Mitte der 1970er Jahre in der Einzel- wie in der Gruppentherapie in Zagreb ein. 1988 wurde in Zagreb das Institut für Gruppenanalyse [Instituta za grupnu analizu] gegründet.
Für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse in Serbien spielte ein Lehranalysand Nikola Šugars, der Kinderpsychiater Vojin Matić, lange Zeit der einzige Psychoanalytiker in Belgrad, eine wichtige Rolle. Matić lehrte ab 1952 am Institut für Klinische Psychologie der Universität Belgrad und gründete 1953 das Medizinisch-pädagogische Beratungszentrum [Medicinsko-pedagoškog savetovalište], wo psychoanalytisch orientierte Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurde. Psychoanalytiker:innen wie Milica Jojić-Milenković, Ljiljana Milosavljević, Slavka Brzev, Milica Marinkov und Vladimir Petrović erhielten hier ihre erste Ausbildung und machten bei ihm eine Lehranalyse. Nach der Schließung des Beratungszentrums 1963 setzte Matić seine Analysen und Supervisionen an dem 1963 in Belgrad gegründeten Institut für psychische Gesundheit [Institut za mentalno zdravlje], der ersten sozialpsychiatrischen Einrichtung in Südosteuropa, fort. Zu seinen Lehranalysand:innen gehörte in dieser Zeit auch Tamara Štajner-Popović.
Anfänglich ein Anhänger, später ein Gegner der Psychoanalyse in Slowenien war der Psychiater Alfred Šerko. Sein 1934 veröffentlichtes Pamphlet O psihoanalizi war das erste Buch über Psychoanalyse in Slowenien. In den 1960er Jahren führte der Psychologe Leopold Bregant nach seiner psychoanalytischen Ausbildung in Berlin und Göttingen die Neopsychoanalyse von Harald Schultz-Hencke in Slowenien ein. Die Psychiaterin Bazilija Pregelj lehrte psychoanalytisch orientierte Kinderpsychotherapie an der Medizinischen Fakultät der Universität Ljubljana. Ende der 1970er Jahre entstand die Ljubljana school of psychoanalysis, die eine Verbindung aus deutschem Idealismus (Hegel), Marxismus und Lacanscher Psychoanalyse vertritt. Bekanntester Protagonist ist der slowenische Philsosoph und Lacanianer Slavoj Žižek.
In Bosnien und Herzegowina setzte sich der Arzt Alexandar Marković in Sarajevo für die Einführung psychoanalytisch orientierter Psychotherapie ein. Er hatte seine psychoanalytische Ausbildung bei Wolfgang Loch in Tübingen erhalten und bildete bis zu seinem Tod 1986 zahlreiche Psychiater in Sarajewo aus. 1969 wurde das Sarajevo Zentrum für psychische Gesundheit [Centar za mentalno zdravlje] gegründet.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er Jahre kam es in den unabhängig gewordenen Teilrepubliken zu einer Renaissance der Psychoanalyse.
Kroatien
Die Zagreber Analytiker Staniša Nikolić und Eduard Klain sowie ihre Analysand:innen Dragan Josić und Marija Ŏiček vervollständigten ihre Ausbildung ab 1992 mit Supervisionen in Triest bei der Società Psicoanalitica Italiana (SPI). Alle vier wurden Mitglieder der IPA. Damit war der Grundstein gelegt für die Etablierung einer kroatischen Studiengruppe der IPA, die 2004 als Hrvatska psihoanalitička studijska grupa mit Sitz in Zagreb von der IPA anerkannt wurde. 2013 erhielt die Hrvatsko psihoanalitičko društvo (HPsD) / Croatian Psychoanalytic Society den Status einer Provisorischen Gesellschaft der IPA. Präsident von 2008 bis 2014 war Eduard Klain, die derzeitige Präsidentin ist Sanja Borovecki-Jakovljev.
Serbien
Die Institutionalisierung der Psychoanalyse in Serbien verdankte sich vor allem den Bemühungen von Tamara Štajner-Popović in den 1980er Jahren, die 1990 zu der Gründung der Belgrader Gesellschaft für die Entwicklung der Psychoanalyse [Beogradsko društvo za razvoj psihoanalize] führte. Gründungsmitglieder waren Milica Jojić-Milenković, Ljiljana Milosavljević, Vojin Matić, Tamara Štajner-Popović, Vladimir Petrović, Katarina Radovanović, Ksenija Kondić und Vojislav Ćurčić. 1995 wurden die serbischen Psychoanalytiker:innen Vojin Matić, Tamara Štajner-Popović, Aleksandar Vučo, Ivanka Jovanović-Dunjić, Gordana Marinkov-Vulević, Vida Rakić-Petroi und Milorad Vukašinović Direktmitglieder der IPA. Damit war der Weg frei zur Gründung einer IPA-Studiengruppe im Jahr 1996, der Belgrade Psychoanalytical Study Group / Beogradske psihoanalitičke studijske grupe, mit Tamara Štajner-Popović als Präsidentin. 2003 erhielt die Belgrade Psychoanalytical Society / Beogradsko psihoanalitičko društvo (BPD) den Status einer Provisorischen Gesellschaft und 2007 einer Zweiggesellschaft der IPA.
2014 kam es aufgrund interner Auseinandersetzungen zu einer Spaltung: Eine Mehrheit von sechzehn Mitgliedern der Belgrader Psychoanalytischen Gesellschaft gründete die Psychoanalytical Society of Serbia (PSS) / Psihoanalitičkog društva Srbije (PDS). Die PDS erhielt 2015 den Status einer Provisorischen Gesellschaft und 2017 den einer Zweiggesellschaft der IPA. Derzeitige Präsidentin ist Marija Vezmar.
Slowenien
In Slowenien ist vor allem die Lacansche psychoanalytische Schule verbreitet. Sie bildet eine der theoretischen Grundlagen der Ljubljana school of psychoanalysis, die von der 1982 gegründeten Društvo za teoretsko psihoanalizo / Society for Theoretical Psychoanalysis repräsentiert und unter ihrem Präsidenten Slavoj Žižek weiterentwickelt wurde. Im Unterschied dazu organisieren sich die praktisch tätigen Lacanianer:innen seit 2015 in der Slovenian Association for Lacanian Psychoanalysis / Slovensko društvo za lacanovsko psihoanalizo (SDLP). Gründerin und derzeitige Präsidentin ist Nina Krajnik, eine in Paris bei der École de la Cause Freudienne ausgebildete Analysandin von Jacques-Alain Miller. (Artikelanfang)
Eine psychoanalytische Bewegung von Bedeutung hat es in Polen nicht gegeben. Aber nicht wenige bekannte PsychoanalytikerInnen stammten aus diesem Land, so Ludwig Jekels, Hermann Nunberg, Helene Deutsch, Eugenia Sokolnicka und Hanna Segal.
Entscheidend für die Verbreitung der Psychoanalyse in Polen vor dem Ersten Weltkrieg war der Psychiater Ludwig Jekels, ein Schüler und Freund Sigmund Freuds. Er führte die psychoanalytische Methode in seinem 1897 gegründeten Sanatorium in Bystra (Schlesien) ein, wo er zusammen mit Hermann Nunberg nervenkranke Patienten analysierte. Jekels übersetzte als Erster die Schriften Freuds ins Polnische und machte 1909 auf einem Kongress in Warschau polnische Neurologen, Psychiater und Psychologen mit der Psychoanalyse bekannt. In der seit 1911 von ihm herausgegebenen Bücherreihe Polska Biblioteka Psychoanalityczna erschienen psychoanalytische Aufsätze in polnischer Sprache. Mitte der 1920er Jahre, nach der Etablierung eines unabhängigen polnischen Staats, belebte sich die psychoanalytische Szene, und es bildeten sich psychoanalytische Arbeitsgruppen in Warschau, Lodz, Krakau, Lemberg und Posen. Der Versuch Eugenia Sokolnickas, 1920 eine polnische psychoanalytische Gesellschaft ins Leben zu rufen, scheiterte allerdings, und die Analysandin Freuds ging ein Jahr später nach Paris.
Als herausragender polnischer Psychoanalytiker der Zwischenkriegszeit gilt Gustaw Bychowski, der bis zu seiner Emigration 1939 an der psychiatrischen Universitätsklinik Warschau tätig war. Er verfasste eine spektakuläre psychoanalytische Studie über den polnischen Dichter Julius Slowacki und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Psychoanalyse der Psychosen. Zum Warschauer Kreis gehörten auch der Psychiater Maurycy Bornsztajn, der 1930 an der Freien Universität in Warschau die ersten Vorträge einer Vorlesungsreihe zu psychoanalytischen Themen hielt, und Roman Markuszewicz, Autor einer polnischen Geschichte der Psychoanalyse. Weitere polnische Psychoanalytiker dieser Zeit waren Tadeusz Bilikiewicz (Krakau) und Stefan Borowiecki (Posen) sowie Józef Mirski, Jan Kuchta, Adam Wizel, Leopold Wolowicz, Rudolf Kesselring, Norbert Praeger, Tadeusz Jaroszynski, Wladyslaw Matecki und Natalja Zyberlast-Zandowa. Besonderes Interesse fand die Psychoanalyse in intellektuellen und pädagogischen Kreisen Polens, angefeindet wurde sie vor allem von der katholischen Kirche.
Der Zweite Weltkrieg setzte der Entwicklung der polnischen psychoanalytischen Bewegung ein Ende. Ihre Repräsentanten verließen das Land oder wurden von den Nazis ermordet.
Nach Kriegsende galt die Freudsche Lehre wie in den anderen sozialistischen Ländern auch in Polen als imperialistische bürgerliche Ideologie. Erst Ende der 1950er Jahre gab es bei Ärzten und Psychologen wieder ein größeres Interesse für die Psychoanalyse. Aus Mangel an polnischen Lehranalytikern musste die neue Psychoanalytikergeneration ihre Ausbildung in Prag und in Budapest absolvieren, so Jan Malewski, Zbigniew Sokolik und Michal Lapinski. 1963 gründete Malewski das Ośrodek Psychoterapii in Rasztów, das erste psychoanalytisch orientierte Psychotherapiezentrum in Polen. Malewski und Lapinski emigrierten nach Heidelberg bzw. Australien, während Sobolik in Warschau blieb. Seit den 1970er Jahren wurde die Psychoanalyse an der Psychiatrischen Universitätsklinik Warschau und am Institut für Psychologie gelehrt und angewendet. Anfang der 1990er waren ca. dreißig Mitglieder in der psychoanalytischen Abteilung der Polnischen Gesellschaft für Psychologie organisiert.
Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers entstanden Anfang der 1990er Jahren das von Katarzyna Walewska geleitete Instytut Psychoanalizy i Psychoterapii (IPP) und die Polskie Towarzystwo Rozwoju Psychoanalizy (PTRP) [Polnische Gesellschaft für die Entwicklung der Psychoanalyse], deren Erste Vorsitzende Elzbieta Bohomolec war. 1997 ging aus diesen beiden Institutionen die Polnische Psychoanalytische Gesellschaft Polskie Towarzystwo Psychoanalityczne (PTPa) hervor, zunächst als Study Group und ab 2008 als Zweiggesellschaft der IPA. Ihre erste Präsidentin von 1997 bis 2001 war Anna Czownicka. Die PTPa zählt derzeit (2023) 54 Mitglieder.
2003 wurde die Polskie Towarzystwo Psychoterapii Psychodynamicznej (PTPP)) gegründet, die Mitglied in der European Federation for Psychoanalytic Psychotherapy ist. (Artikelanfang)
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das seit 1881 bestehende Königreich Rumänien zu „Großrumänien“, einem Vielvölkerstaat, dem mehrere Territorien Ungarns, Österreichs, Russlands und Bulgariens eingegliedert worden waren. 1938 rief König Carol II. eine Königsdiktatur aus, wurde jedoch 1940 von General Ion Antonescu zur Abdankung gezwungen, der eine faschistische Militärdiktatur errichtete und den Achsenmächten beitrat. 1944 führte der erfolgreiche sowjetische Großangriff zum Sturz Antonescus und zum Frontwechsel Rumäniens. Unter sowjetischem Einfluss etablierte sich von 1947 bis 1965 die Volksrepublik Rumänien und von 1965 bis 1989 die Sozialistische Republik Rumänien unter dem Diktator Nicolae Ceauşescu. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks verfolgte Rumänien einen demokratischen und marktwirtschaftlichen Kurs.
In der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Lehre Freuds in Rumänien vor allem in medizinischen Kreisen rezipiert. Bis 1938 erschienen dreißig psychoanalytische Artikel und Bücher, darunter die Schrift Instinctul sexual [Der Geschlechtstrieb] (1928) des rumänisch-jüdischen Rechtsmediziners Iosif Westfried (1893-1970), eingeleitet mit einem Brief Sigmund Freuds an den Verfasser. Die Bukarester Medizinische Fakultät verzeichnete zwischen 1913 und 1940 mehr als zehn Dissertationen zu psychoanalytischen Themen. Heraus ragten zwei Doktorarbeiten: Contributiuni la studiul tratamentului psihanalitic (sase cazuri analitice) [Beiträge zum Studium der psychoanalytischen Behandlung (sechs Analysen)] (1923) von Constantin Vlad an der Medizinischen Fakultät von Bukarest und Doctrina lui Freud [Die Lehre Freuds] (1927) von Ion Popescu-Sibiu an der Medizinischen Fakultät von Jassy. Beide gelten als die Pioniere der Psychoanalyse in Rumänien.
Der Psychiater Constantin Vlad (1892-1971) wurde in der damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Provinz Bukowina geboren. Er studierte Medizin in Wien und wurde während des Ersten Weltkriegs durch Otto Pick, einen tschechischen Offizier, in die Psychoanalyse eingeführt. Obwohl er wie viele Pioniere keine Lehranalyse absolviert hatte, führte er als Militärpsychiater Analysen mit Soldaten durch und praktizierte in Bukarest als erster Psychoanalytiker Rumäniens.
Der in Hermannstadt (Sibiu) geborene Psychiater Ion Popescu-Sibiu (1901-1974) studierte in Bukarest und Jassy Medizin und war ebenfalls Militärarzt. Er korrespondierte mit Sigmund Freud, der Briefwechsel ist jedoch verschollen. Seine bis 1946 mehrmals neu aufgelegte Arbeit Doctrina lui Freud diente in Rumänien als Standardwerk zur Einführung in die Theorie und Praxis der Psychoanalyse. Nach 1945 distanzierte sich Popescu-Sibiu vom freudianischen "Pansexualismus" und wandte sich der Neopsychoanalyse zu. Mit Constantin Vlad gründete er 1935 die Revista Romana de Psihanaliza, von der jedoch nur eine Ausgabe erschien.
In der 1947 proklamierten Volksrepublik Rumänien wurden mehrere Wissenschaftszweige verboten, darunter auch die Psychoanalyse. Noch kurz zuvor hatten Constantin Vlad, Ion Popescu-Sibiu und andere psychoanalytisch orientierte Ärzte 1946 die Rumänische Gesellschaft für Psychopathologie und Psychotherapie [Sociedad Rumana de Psicopatología y Psicoterapia] gegründet, deren erster Präsident Constantin Vlad war. Die Gesellschaft musste jedoch 1947 jede Aktivität einstellen. Vlad, Popescu-Sibiu und andere hielten in der Volksrepublik wie in der Sozialistischen Republik Rumänien die psychoanalytische Praxis klandestin aufrecht. Die Psychotherapie wurde zwar nicht explizit verboten, aber als unvereinbar mit marxistischen Ideen erklärt. Viele Ärzte und Psychologen verließen in dieser Zeit das Land.
Der Psychologe Eugen Papadima, ein Analysand von Popescu-Sibiu, begann in den 1970er Jahren inoffiziell mit der Ausbildung einer neuen Generation rumänischer Analytiker:innen. Er praktizierte und lehrte von 1972 bis 1988 in Bukarest, emigrierte dann nach New York und kehrte 1995 nach Rumänien zurück. Zu seinen Lehranalysand:innen gehörten Nadia Bujor, Radu Clit, Irena Talaban, Vera Şandor und Vasile Dem Zamfirescu, die ihrerseits als Analytiker:innen praktizierten. Der ebenfalls psychoanalytisch arbeitende Psychiater Ion Vianu emigrierte 1977 in die Schweiz.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus beginnt Ende 1989 die dritte Stufe der Psychoanalyse in Rumänien. Im Februar 1990 wurde die Rumänische Gesellschaft für Psychoanalyse Societatea Psihanalitica Româna (SPR) gegründet. Mitgründer:innen waren u. a. Nadia Bujor, Vera Şandor, Alfred Dumitrescu und Vasile Zamfirescu. Beim IPA-Kongress 1997 in Barcelona erhielten vier Mitglieder, Vera Șandor, Brîndușa Orășanu, Eugen Papadima und Vasile Zamfirescu als Direktmitglieder der IPA den Status von Lehranalytikern und Supervisoren. 2000 erlangte die SPR den Status einer IPA-Studiengruppe mit dem offiziellen Namen Societatea Română de Psihanaliză - Grup de Studiu. Beim IPA-Kongress 2011 in Mexiko erreichte die rumänische Studiengruppe die nächste Stufe einer Provisorischen Gesellschaft der IPA, und seit 2017 ist die Societatea Română de Psihanaliză (SRP) / Romanian Society of Psychoanalysis (RSP) Zweiggesellschaft der IPA. Derzeitiger Präsident ist Bogdan Sebastian Cuc.
Seit 2008 erscheint als Organ der SRP das Romanian Journal of Psychoanalysis mit Artikeln ausschließlich in französischer oder englischer Sprache.(Artikelanfang)
Dass Sigmund Freud 1856 in Freiberg in Mähren, dem heutigen Pribor in der Tschechischen Republik, geboren wurde, hatte keinen Einfluss auf die Geschichte der Psychoanalyse in der Tschechoslowakei. Erst 1936 erschien eine erste tschechische Übersetzung seiner Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Die wichtigsten Pioniere der Psychoanalyse in der Tschechoslowakei waren der in Uhlíře in Böhmen geborene Jaroslaw Stuchlík (1890-1967) und der aus Russland stammende Nikolaj Ossipow (1877-1934).
Der Psychiater Jaroslaw Stuchlík war während seiner medizinischen Ausbidung in der Schweiz C. G. Jung begegnet und veröffentlichte 1915 seinen ersten psychoanalytischen Beitrag. Zwei Jahre später besuchte er Sigmund Freud in Wien und nahm an den Seminaren und Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) teil. Nach der 1918 erfolgten Gründung der Tschechoslowakischen Republik leitete Stuchlík von 1919 bis 1938 die Neuropsychologische Abteilung der Staatsklinik in Kaschau (Košice) in der Ost-Slowakei, wo er sich für die Anwendung der Psychoanalyse in Diagnostik und Therapie einsetzte. Mehrere seiner Schüler wurden Psychoanalytiker, so die Psychiater Emanuel Windholz, Sándor Lorand und Jan Frank. Windholz, der slowakisch-jüdischer Herkunft war, begann in Berlin seine psychoanalytische Ausbildung, bevor er 1931 nach Prag zurückkehrte. Er übersetzte Arbeiten Sigmund Freuds in Tschechische und gab 1932 das erste tschechische Jahrbuch der Psychoanalyse heraus.
Der russische Psychiater Nikolaj Ossipow hatte 1911 die Moskauer Psychoanalytische Gesellschaft gegründet, deren erster Vorsitzender er war. Nach der Oktoberrevolution verließ er Russland und kam 1922 nach Prag, wo er von 1923 bis 1932 an der Karls-Universität Vorlesungen über Psychoanalyse hielt. Ossipow initiierte eine psychoanalytische Gruppe in Prag, zu deren Mitgliedern u. a. der russische Emigrant Theodor Dosužkov zählte, der in der weiteren Geschichte der psychoanalytischen Bewegung in der Tschechoslowakei eine wichtige Rolle spielte.
Mitglieder der WPV, die in den 1910er und 1920er Jahren in Böhmen und Mähren die Psychoanalyse vertraten, waren der Psychiater Josef Reinhold, der ab 1913 seine Patienten im Nervensanatorium Prießnitz psychoanalytisch behandelte, Frieda Teller, die in den 1920er Jahren öffentliche Vorträge zu Psychoanalyse und Literatur hielt, und der Wiener Psychiater Otto Pötzl, der von 1922 bis 1928 an der Karls-Universität lehrte und mit dem Prager Psychiater Franz Pollak 1922 die Gründung einer psychoanalytischen Gesellschaft in Prag plante (wozu es aber nicht kam).
Nachdem Hitler 1933 in Deutschland die Macht übernommen hatte, wurde Prag mit seiner relativ großen deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe ein wichtiger Zufluchtsort für viele Emigranten aus Deutschland. In der Tschechoslowakei gab es unter Beneš, der 1935 Masaryk ablöste, keine Einschränkungen für Psychoanalytiker in der Ausübung ihres Berufs. Zu den Psychoanalytiker:innen, die 1933 aus Berlin nach Prag kamen und die Prager Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft bildeten, gehörten Frances Deri mit ihren beiden Analysandinnen Elisabeth Gerö-Heymann und Annie Reich, Steff Bornstein, Heinrich und Yela Löwenfeld. Später kamen Hanna Heilborn, Michalina Endelmann, Otto Fenichel (1935 als Emissär der WPV) und Christine Olden hinzu. Zu den tschechischen Mitgliedern bzw. Gästen zählten Theodor Dosužkov, Richard Karpe, Jan Frank, Emanuel Windholz, Therese Bondy, Marietta Karpe sowie Marie und Otto Brief. Der bereits in Prag praktizierende Emanuel Windholz setzte seine Ausbildung bei Frances Deri fort.
Im Herbst 1933 begann die Prager Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft (Psychoanalytická Skupina v ČSR) mit ihrer Ausbildungstätigkeit, Vorsitzende war bis 1935 Franziska Deri. 1934 wurde die Prager Arbeitsgemeinschaft der WPV angegliedert und 1936 auf 14. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Marienbad als Tschechoslowakische Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse offiziell von der IPA anerkannt. 1935 übernahm der Wiener Freudomarxist Otto Fenichel bis 1938 die Leitung der Prager Arbeitsgemeinschaft und gründete zusätzlich eine Marxistisch-Analytische Arbeitsgemeinschaft.
Zwischen 1938, dem Anschluss Österreichs an Deutschland, und 1939, dem Überfall auf die Tschechoslowakei, verließen die meisten Mitglieder der Prager Arbeitsgemeinschaft das Land. Zurück blieben Steff Bornstein, die letzte Vorsitzende der Prager Arbeitsgemeinschaft starb 1939 an einem Herzinfarkt, Therese Bondy, Marie und Otto Brief, die alle drei deportiert und ermordet wurden, und Theodor Dosužkov, der als einziger der Arbeitsgruppe die nationalsozialistische Besatzungszeit in Prag überlebte und während des Kriegs im Untergrund Analysanden ausbildete.
Dosužkov betrieb 1946 in Prag die Neugründung der Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse als offizielle Studiengruppe der IPA, mit damals 23 Mitgliedern. Er war Lehranalytiker und Präsident der Gruppe und hielt Vorlesungen über Psychoanalyse an der Karls-Universität. Die stalinistische Machtübernahme im Jahr 1948 beendete die Nachkriegsentwicklung der nun als bürgerlich-dekadent und gefährlich geltenden Psychoanalyse in der ČSSR. 1952 musste sich die Gesellschaft für das Studium der Psychoanalyse auflösen, ein Teil ihrer Mitglieder, darunter Theodor Dosužkov, Otakar Kučera, Ladislav Haas, Marie Benová und Věra Fischelová, setzte die psychoanalytische Arbeit in privatem Rahmen fort.
In den 1960er Jahren belebte sich die psychoanalytische Bewegung in der ČSSR wieder, wurde aber mit der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 durch die Warschauer Pakt-Truppen erneut in ihrer Entwicklung behindert. Psychoanalytisch Interessierte organisierten sich in der Psychotherapeutischen Abteilung der J. E. Purkyne Psychiatrie-Gesellschaft und schufen schließlich 1988 eine eigenständige Fachgruppe für Psychoanalyse. 1967 begründeten Jaroslav Skála, Eduard Urban und Jaromír Rubeš ein informelles Ausbildungssystem für integrative Gruppenpsychotherapie, aus dem 1999 der offizielle Verein SUR mit einem psychotherapeutischen Ausbildungsinstitut hervorgegangen ist.
Dosužkov, Kučera, Marie Benová, Pavel Tautermann, Alena Žižková und Zdeněk Mrazek setzten nach 1968 die Ausbildung der dritten Generation von Psychoanalytikern wieder im Untergrund fort. Ihre Schüler gründeten Anfang der 1980er Jahre eine illegale psychoanalytische Gruppe, aus der 1990, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, die Česká Psychoanalytická Spolecnost (ČPS) hervorging. Ihr erster Präsident war der Dosužkov-Schüler Miroslav Borecký. Die ČPS besteht derzeit (2021) aus 43 Mitgliedern. Anfang der 1990er Jahre gründete Michael Šebek die Česká společnost pro psychoanalytickou psychoterapii (ČSPAP), die seit 1999 zweimal im Jahr die Zeitschrift Revue psychoanalytická psychoterapie herausgibt. (Artikelanfang)